Wie Sie Ihren Rücken entzücken
Ein Knäuel, aus dem nur die Gliedmaßen hervorschauen – so könnte man sich den menschlichen Körper ohne Wirbelsäule vorstellen. Erst mit ihr sind ein aufrechter Gang und verschiedene Bewegungen möglich. Um sie gesund zu erhalten, muss man etwas tun.
Menschen, die sich auf allen Vieren fortbewegen? Zugegeben, diese Vorstellung wirkt befremdend. Ursprünglich war die Wirbelsäule jedoch für vierfüßige Bewegungsabläufe konstruiert. Durch das Aufrichten in die Vertikale ist die Wirbelsäule anders belastet und damit anfälliger für Funktionsstörungen und Schmerzen. Obgleich Neandertaler, Australopithecus und Co ihr Dasein schon im aufrechten Gang fristeten, hatten sie im Vergleich zu uns zwei entscheidende Vorteile: Ihr Leben war sicher um einiges „bewegter“ und sie hatten eine deutlich geringere Lebenserwartung.
Heute wird dem Menschen ein Großteil seines Weges und seiner Last abgenommen. Die steigende Lebenserwartung begünstigt zudem natürliche Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule. Stress, Bewegungsarmut und (Fehl-)Belastungen hinterlassen Spuren: In Österreich haben rund zwei Millionen Menschen Rückenprobleme unterschiedlichen Schweregrades.
Knochenkette mit vielen Funktionen
Auf Röntgenbildern wirkt die menschliche Wirbelsäule eher unbeweglich. Man könnte fast annehmen, sie sei starr wie ein Besenstiel. Doch beugen, strecken, drehen, hüpfen – die ausgeklügelte Struktur der Wirbelsäule macht all diese Bewegungen erst möglich. Kleine Wirbel, von Bändern und Sehnen zusammengehalten, bilden die dynamischen Gefährten der bewegungslosen Knochen. Die einzelnen Wirbel sind über die Bandscheiben und Facettengelenke mit zahlreichen Bandsystemen und Muskeln fest miteinander verbunden. Je zwei kleine Wirbelgelenke sorgen für Halt nach oben und nach unten. Jedes Wirbelgelenk wird von einer mit Flüssigkeit gefüllten Kapsel umhüllt.
Entscheidend in diesem ausgeklügelten System ist ein probater Stoßdämpfer – die Bandscheibe. Der Mensch besitzt insgesamt 23 dieser weichen, kompakten Gewebekissen, die zusammen etwa ein Viertel der Wirbelsäulenlänge ausmachen. Bandscheiben bestehen aus einem weichen, gallertartigen Kern, der von einem festen Ring aus Bindegewebe zusammengehalten wird. Ähnlich wie ein Airbag bei einem Auto federn sie Erschütterungen ab, verteilen den äußeren Druck gleichmäßig auf die Wirbelkörper und sorgen dafür, dass sich die Knochen nicht aneinander verhaken.
Wer meint, die Wirbelsäule hätte ausschließlich eine Stütz- und Mobilitätsfunktion, der irrt: Ohne sie könnten wir weder atmen noch Informationen empfangen. Das Rückenmark ist der „zuständige Beauftragte“ in Sachen Informationsübertragung. Es fungiert als Schaltstelle zwischen den Nerven der Körperregionen und dem Gehirn.
Alles in allem ist die Wirbelsäule ein sehr komplexes System, dessen einzelne Bestandteile wie Zahnräder ineinandergreifen. Fällt ein Rädchen aus, kommt es zu Problemen im System – Rückenschmerzen.
Rücken mit Tücken
Hand aufs Herz: Ist es nicht unheimlich bequem, auch für kurze Distanzen das Auto zu benutzen? Ein sportives Training nach einem anstrengenden Arbeitstag? Vielleicht morgen! Die Anziehungskraft der heimeligen Couch ist meist größer als die eigene Motivation. Zum Missfallen der menschlichen Wirbelsäule, die auf Kriegsfuß mit dem inneren Schweinehund steht, weiß Dr. Andreas Stippler, Facharzt für Orthopädie in Krems: „Zu den Hauptrisikofaktoren für Rückenprobleme gehört die Bewegungsarmut in unsere sitzenden Gesellschaft.“ Einseitige Belastungen in Beruf oder Freizeit können die Wirbelsäule nachhaltig vergrämen. Eine Krankenschwester, die ihre Patienten oft in ungünstigen Körperhaltungen drehen und heben muss, belastet ihren Rücken ebenso wie ein Gartenarbeiter, der immer dieselben, monotonen Spatenstichbewegungen ausführt.
Durch unsachgemäße Bewegungen werden kleinste Wirbelgelenke überstrapaziert und abgenutzt. Auch die Bandscheiben protestieren bei Fehlbelastungen und Bewegungsarmut. Denn sie sind auf ein Wechselspiel zwischen Be- und Entlastung angewiesen. Bei längerer Bewegungslosigkeit wird der Wasserein- und Wasserausstrom unterbunden. Die Folge: Die Bandscheiben hungern quasi aus, sie bekommen zu wenig Nährstoffe und verlieren an Elastizität. Erhöhte Belastungswerte machen die Bandscheiben anfälliger für degenerative Erkrankungen. Das Gewebe verliert an Festigkeit, Spalten und Risse können sich bilden. Diese erhöhen die Gefahr von Bandscheibenvorfällen.
Das Couchpotatoe-Dasein hat noch eine weitere negative Auswirkung auf die Wirbelsäule: Die Rückenmuskeln begeben sich bei chronischer Bewegungsarmut in einen vorzeitigen Ruhestand. Schwache, untrainierte Muskeln können ihre Stütz- und Pufferfunktionen nur mehr unzureichend erfüllen. Da helfen nur Ausgleichsübungen zur Stärkung der vernachlässigten Muskulatur.
Schmerzen sind sinnvolle Warnzeichen!
Ein falsche, meist ruckartige Bewegung und schon ist der da – der durchdringende Schmerz im Rücken, landläufig als „Hexenschuss“ bekannt. Ein äußerst unangenehmes Symptom, das jedoch eine wichtige Schutzfunktion erfüllt: „Der Schmerz ist in der Anfangphase eigentlich ein guter Warner“, weiß Orthopäde Stippler. Die Schonhaltung wirke entlastend und zwinge die betroffenen Teile des Körpers zur Pause und Ruhe. „Normalerweise klingt der akute Schmerz in zwei bis drei Wochen ab und die Funktion der Wirbelsäule kommt langsam wieder zurück“, erklärt der Facharzt. Bei kleineren Beschwerden helfen Kälte- oder Wärmeanwendungen mit Sauna oder Infrarot, Salben und Druckanwendungen.
Neben diesen eher unkomplizierten, meist rasch abklingenden Rückenschmerzen gibt es auch die chronischen Schmerzen. Symptome und Ursachen sind ähnlich wie bei einfachen Rückenschmerzen, allerdings ist ihr Verlauf wesentlich langwieriger. Das Fatale daran: „Hier hat sich schon das sogenannte Schmerzgedächtnis im Gehirn ausgebildet und die Behandlung wird immer schwieriger.“ Denn Schmerzen setzen einen Teufelskreislauf in Gang. Sie erzwingen eine Schonhaltung, die weitere Verspannungen und Schmerzen verursacht: Muskelpartien, die bislang schmerzfrei waren, werden nun überbeansprucht – die anfängliche Schmerzstelle „wandert“ so über den gesamten Rücken. Wie kann der Teufelskreislauf aus Schmerz – Schonhaltung – Schmerzverstärkung durchbrochen werden? „Anfangs steht die Schmerztherapie im Vordergrund – Salben, Medikamente, gezielte orthopädische Infiltrationen, Infusionen und Physiotherapie sowie richtige Lagerung und auch Bandagen“, nennt Stippler mögliche Formen der Schmerztherapie. Wichtig sei auch eine frühe Mobilisierung mit gezielten Muskelübungen, Weichteiltechniken und dem richtigen Bewegungsverhalten im Alltag. „Eine exakte Diagnostik mit einer klinisch-manuellen Untersuchung und bildgebenden Verfahren wie Röntgen und MRT sowie einer Funktionsanalyse der Wirbelsäule sollten die Schmerzquellen aufspüren. Dann wird für jeden Patienten individuell ein Therapieplan erstellt.“ Sofort handeln muss der Arzt, wenn Schmerzen ausstrahlen oder Gefühle der Schwäche oder Lähmungserscheinungen mit Gefühlstörungen oder Blasen- und Darmentleerungsstörung auftreten. Unter Umständen können sich hinter diesen Symptomen ernste Krankheiten verbergen, die rasch abgeklärt und behandelt werden müssen.
Prävention steht vor Therapie
Wie erwähnt zählen Bewegungsmangel, Überbelastung und körperliche Fehlhaltungen zu den häufigsten Ursachen für Rückenbeschwerden. Durch Prävention wären viele Rückenprobleme schlichtweg vermeidbar. An erster Stelle stehen moderate Bewegungseinheiten in Kombination mit gezielten Entspannungsphasen. Bekennende Couchpotatoes werden an dieser Stelle kopfschüttelnd protestieren: „Entspannung? Klingt gut! Aber bitte nicht schon wieder eine Bewegungsempfehlung.“ Nun ja, wer den inneren Schweinehund einmal erfolgreich bezwungen hat, wird sich über ein neu gewonnenes Lebensgefühl und eine wohlgesinnte Wirbelsäule freuen.
Welche Sportarten tun dem Rücken gut? „Leider sind eher unattraktive Sportarten sinnvoll: Rudern, Klettern, Rückenschwimmen, Geräteturnen“, rät Stippler. „Ebenso wichtig sind Koordination, Gleichgewicht und ein Statiktraining auf instabilen Systemen wie MFT-Platten und Sitzbällen.“ Ein gezieltes Trainingsprogramm ist ein Rundum-Paket: Muskuläre Dysbalancen können behoben, abgeschwächte Muskeln gekräftigt und verkürzte Muskeln gedehnt werden. Nicht zuletzt fördert Bewegung die Produktion von Glückshormonen. Die seelische Gesundheit geht Hand in Hand mit der Rückengesundheit. „Bei machen Patienten schlägt sich Stress auf den Magen, bei anderen auf das Herz und oft findet sich Angst und Stress in der Wirbelsäule. Die Muskulatur ist dauernd angespannt und führt zu einem Überdruck auf die Strukturen der Wirbelsäule“, weiß der Facharzt. Entspannungstechniken und Stressmanagement sind die richtige Antwort. Der durchschnittliche Büromensch verbringt während seines Arbeitslebens etwa 80.000 Stunden auf seinem Bürostuhl. Was kann ihm geraten werden? Regelmäßige Pausen vom Sitzen, nach 90 Arbeitsminuten aufstehen, sich dehnen und strecken und herumgehen. Ganz nebenbei werden auf diese Weise auch noch die Gehirnleistung und der eigene Biorhythmus positiv gefördert. Rückenfreundliche Maßnahmen entzücken eben nicht nur den Rücken, sondern auch Kopf und Seele.
Sylvia Neubauer
Foto: istockphoto
Dr. Andreas Stippler, Facharzt für Orthopädie in Krems: „Zu den Hauptrisikofaktoren für Rückenprobleme gehört die Bewegungsarmut in unserer sitzenden Gesellschaft.“
Das kleine Rücken 1x1
- Richtig sitzen: Wenn Sie berufsbedingt viel sitzen müssen, sollten Sie Ihren Rücken durch regelmäßiges Zurücklehnen entspannen. Ein Sessel mit einer geraden, respektive mit einer leicht nach vorne gebeugten Sitzfläche ist ideal. Die Rückenlehne sollte leicht nach hinten geneigt sein.
- Richtig heben und tragen: Heben und tragen Sie Lasten immer möglichst körpernah. Gehen Sie beim Herunter- und Vorbeugen in die Knie und versuchen Sie, den Rücken möglichst nicht zu beugen. Meiden Sie einseitige Belastungen und versuchen Sie das Gewicht immer gleichmäßig zu verteilen.
- Gut gebettet: Die Matratzenwahl ist sehr subjektiv und sollte vorher unbedingt beim Probeliegen getestet werden. Als Motto gilt: Nicht zu weich!
- Das rückenfreundliche Büro: Versuchen Sie entspannt und aufrecht zu sitzen und ändern Sie zwischendurch Ihre Sitzposition. Stehen Sie möglichst oft auf und bewegen Sie sich. Manche Dinge können auch bewusst im Stehen erledigt werden, z. B. Telefonate.
- Mobilisation: Mobilisationsübungen, wie sie beispielsweise beim Wirbelsäulentraining angeboten werden, verbessern die eigene Körperwahrnehmung und stabilisieren die Haltung. Zudem fördern sie die gesundheitliche Eigenverantwortung.
- Muskeln kräftigen: Eine gute Rumpf- und Bauchmuskulatur verleiht Ihrer Wirbelsäule einen starken Halt und schützt sie vor frühzeitigem Verschleiß. Gezielte Kräftigungsübungen mit Therabändern und Hanteln wirken Abnützungserscheinungen entgegen. Rückenfreundliche Sportarten sind z. B. (Rücken-)Schwimmen und Radfahren.
- Übergewicht reduzieren: Starkes Übergewicht belastet die Gelenke und strapaziert die Wirbelsäule. Reduzieren Sie Ihr Gewicht!
- Entspannung und Stressreduktion: Entspannungseinheiten sind in zweierlei Hinsicht empfehlenswert: Zum einen wirken regelmäßiges Lockern und Entspannen des Rückens Verspannungszuständen entgegen. Zum anderen profitiert die Seele von stressreduzierenden Übungen.
- Kleinere Beschwerden lindern: Während im Akutfall meist eine rasche Kühlung ratsam ist, profitieren chronische Schmerzpatienten von einer Wärmebehandlung in Form von warmen Bädern, Wärmekissen und durchblutungsfördernden Salben. Dabei bewähren sich Wirkstoffe wie Kampfer, Thymian, Arnika, Heublumen, Lavendel und Teufelskralle. Wichtig: Hausmittelchen dienen der Linderung von Symptomen, können einen Arztbesuch jedoch nicht ersetzen.
- Wann unbedingt zum Arzt? Bei Nervenausfallerscheinungen, die sich in Muskelreflexabschwächungen, Lähmungen oder Taubheitsgefühlen zeigen. Diese Symptome sollten immer als Notfall angesehen werden. Sonst können bleibende Nervenschädigungen die Folge sein.
- Einen gesunden Lebensstil pflegen: Auch für die Rückengesundheit gilt: Versuchen Sie, möglichst im Einklang mit Ihrem Körper zu leben. Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Bewegungseinheiten und gezielte Ruhe- und Schlafphasen.





