Süße Versuchungen
Herr und Frau Österreicher verzehren jährlich durchschnittlich knapp über 40 kg Zucker. Das entspricht einem Tagesgenuss von etwa 30 Stück Würfelzucker. Ganz schön viel – aber Zucker ist quasi ein „Experte im Verstecken“. Seine synthetisch hergestellten Verwandten kommen als Alternative nur bedingt in Frage.
Gut, bei Zuckerln, Keksen, Schokolade und Co ist die Sache klar. Darin ist zweifelsohne Zucker en masse enthalten. Doch was haben Ketchup und Salatmarinaden mit der süßen Versuchung zu tun? Fakt ist, dass viele verarbeitete Lebensmittel, und hier besonders die Fertiggerichte, große Mengen an Zucker enthalten. Der Inhaltsstoff dient vor allem dem Geschmack, zum Teil aber auch der Konservierung. Wussten Sie, dass in zwei Esslöffeln Ketchup dieselbe Zuckermenge wie in einem kleinen Schokoriegel enthalten ist? Erstaunlich, oder? Weitaus weniger verwunderlich ist es, dass wir angesichts des vielen „untergejubelten“ Zuckers regelrecht auf Süßes getrimmt werden. Zum Missfallen unseres Organismus, der die tägliche Zuckerflut meist nur wenig erquickend findet.
Süßstoffe – gelobt und verteufelt
Man nehme ein bisschen Isomalt, dazu Sorbit und ergänze das Ganze mit Acesulfalm und Aspartam. Diese Liste lässt einen eher an ein Chemielabor als an Lebensmittel denken. Teilweise stimmt das ja, denn alle aufgezählten Elemente sind künstlichen Ursprungs. Aber hätten Sie gedacht, dass diese Inhaltsstoffe in beinahe jedem zuckerfreien Kaugummi zu finden sind? Hinter den kryptisch klingenden Namen verbergen sich Zuckeraustauschstoffe und künstliche Süßstoffe. Im Vergleich zu Zucker werden sie im Körper anders verstoffwechselt und eignen sich daher auch für die Diabetikerküche. Daneben haben sie noch einen weiteren Vorteil: Je nach Süßstoffart haben sie eine 10- bis 3.000-fache höhere Süßkraft als Zucker – und das bei wenigen bis gar keinen Kalorien. Kein Wunder, dass sie in sämtlichen Diät- und Lightprodukten enthalten sind.
Der Haken dabei: Diese Süßungsmittel geraten immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik. Mal wird ihnen eine krebsfördernde Wirkung nachgesagt, mal heißt es, sie würden Heißhungerattacken auslösen und damit erst recht dick machen. Letztendlich konnte aber keines der Vorbehalte hinreichend wissenschaftlich belegt werden. Ein Freibrief zum unkontrollierten Verzehr? „Nicht unbedingt, denn einen Nachteil haben künstliche Süßstoffe in jedem Fall“, weiß Andrea Bregesbauer, Diaetologin vom Herz-Kreislauf-Zentrum Groß Gerungs und Leiterin der Landesgruppe Niederösterreich beim Verband der Diaetologen Österreichs. Bregesbauer: „Ein Übermaß an Süßstoffen gewöhnt den Gaumen an den süßlichen Geschmack.“ Die Expertin empfiehlt daher „Süßstoffe generell nur sparsam zu verwenden.“ Lightgetränke würden beispielsweise auch gespritzt gut schmecken. Die WHO hat für den täglichen Verzehr von Süßstoffen eine Obergrenze festgelegt: Man sollte täglich nicht mehr als 5 Milligramm Saccharin pro Kilogramm Körpergewicht oder 11 Milligramm Cyclamat oder 40 Milligramm Aspartam zu sich nehmen. Zur Beruhigung: Untersuchungen haben ergeben, dass selbst Menschen, die viele Süßstoffe verwenden, den sogenannten ADI-Wert, der die maximal tolerierbare Obergrenze angibt, nur zu einem Drittel erreichen. „Bei Kindern, die naturgemäß weniger wiegen, sollte man künstliche Süßstoffe allerdings generell einschränken“, rät die Diaetologin.
Ist Fruchtzucker gesund?
Eigentlich scheint es ein naheliegender Umkehrschluss zu sein: Weil Früchte gesund sind, ist auch Fruchtzucker gesund. Die Werbung bestätigt diese Annahme. Werbehinweise wie „ohne Zusatz von Kristallzucker“ oder „nur mit Fruchtzucker gesüßt“ suggerieren uns: Kristallzucker ist böse, Fruchtzucker ist besser. Doch ist dem tatsächlich so? Leider nein. Der erste Irrtum bezieht sich auf den Ursprung. In Honig und Obst ist natürlicher Fruchtzucker enthalten. Anders sieht es hingegen bei vielen industriell verarbeiteten Produkten mit Fruchtzuckerzusätzen aus. Selbige werden oft aus nährstoffarmer Maisstärke gewonnen. Von diesen Erzeugnissen profitiert vor allem die Industrie: Der Rohstoff ist billig und der Fruchtzucker als solcher gut vermarktbar. Der menschliche Stoffwechsel sieht das anders. Er ist naturgemäß nicht dafür konzipiert, große Mengen an Fruchtzucker zu verarbeiten und kann diesen nie vollständig aus der Nahrung aufnehmen. Die Folgen: Ein übermäßiger Fruchtzuckergenuss kann zu einer veränderten Zusammensetzung der Darmbakterien führen. Für uns macht sich diese Dysbalance in Form von Blähungen, Durchfall oder eines Reizdarms bemerkbar. Zudem kann zu viel Fruchtzucker zu Unverträglichkeitsreaktionen führen. Etwa 20 bis 30 Prozent der europäischen Bevölkerung leiden unter einer Fruktoseintoleranz – oft ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. Negativ ist auch, dass Fruchtzucker kein Sättigungsgefühl auslöst. Warum das so ist? Sobald der Blutzuckerspiegel nach der Nahrungsaufnahme ansteigt, schüttet der Körper Insulin aus. Doch das Hormon reagiert nur auf Glukose, nicht aber auf Fruktose. Ganz schön harte Geschütze gegen den Fruchtzucker. Um seine Ehre dennoch zu retten: Bei Obst und manchen Gemüsesorten, die Fruchtzucker in „natürlicher“ Form enthalten, dürfen Sie auch künftig bedenkenlos zugreifen.
Tipps für Süßschnäbel
„Schokolade! Sofort!“ Bestimmt kennen Sie das zeitweilig unbändige Verlangen nach zuckrigen Seelentröstern und süßen Energiekicks. Eine am American College of Neuropsychopharmacology durchgeführte Studie hat ergeben, dass Zucker im Gehirn die selben Reaktionen auslöst wie Morphine, Kokain und Nikotin. Na toll! Von wissenschaftlich in „normalbürgerisch“ übersetzt bedeutet das also, dass wir uns im Grund genommen wie kleine Zuckerjunkies verhalten. Umso schwerer fällt der völlige Verzicht auf süße Versuchungen. Das strikte Meiden von Zucker und daraus hergestellten Produkten ist allerdings gar nicht erforderlich. Viel wichtiger ist der maßvolle Umgang. Die Diaetologin empfiehlt „Fertigprodukte weitgehend zu vermeiden.“ In ihnen seien viele versteckte Süßungsmittel enthalten. Bregesbauer: „Beim Backen kann man ohne Weiteres Zucker reduzieren. Der Geschmack kann durch verschiedene Gewürze verbessert werden.“ Vieles sei einfach Gewohnheit. Eine schrittweise Zuckerreduktion würde die Geschmacksknospen quasi auf weniger süß „umtrainieren“.
Und wie sieht es eigentlich mit dem Süßkraut Stevia aus, das derzeit für Furore sorgt? Zur Erklärung: Stevia ist ein natürliches, praktisch kalorienfreies Süßungsmittel, das aus den Blättern der im Südwesten Brasiliens und Teilen Paraguays vorkommenden Pflanze Stevia Rebaudiana gewonnen wird. Die Inhaltsstoffe dieser Pflanze haben eine bis zu 300-fach höhere Süßkraft als Rübenzucker. Klingt vielversprechend. Doch ist die natürliche Süße aus der Pflanze tatsächlich eine sinnvolle Alternative zu Zucker und Co? Bregesbauer äußerst Bedenken: „Derzeit kann man aus ernährungsphysiologischer Sicht noch keine dezitierten Empfehlungen für Stevia-Präparate aussprechen. Es fehlen konkrete Daten zu Dosierung und Bedenklichkeit.“ Ein Detail am Rande: Innerhalb der EU wird Stevia derzeit vorwiegend als Kosmetikprodukt verkauft. Der Grund dafür: In der EU wurde Stevia weder als Süßstoff noch als Lebensmittel zugelassen – obwohl der erste Zulassungsantrag für Stevia bereits im Jahre 1999 gestellt wurde. Summa summarum gilt, wie bei vielen anderen Dingen auch beim Zuckerverzehr: Die Dosis macht das Gift. Kosten Sie die „Zuckerseiten“ Ihres Lebens daher auf maßvolle Weise, dafür aber mit Genuss aus.