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Während wir schlafen

Langsam einschlafen und mit neuer Herzklappe oder ohne Blinddarm wieder aufwachen, ohne Schmerzen und ohne Erinnerung. Das bedeutet Narkose heute. Doch was genau bringt unseren Körper dazu, das Skalpell ohne Schmerzen zu tolerieren?


FOTO: Universitätsklinikum St. Pölten

Prim. Prof. Dr. Christoph Hörmann, Leiter der Anästhesie am Universitätsklinikum St. Pölten

Narkose – für viele Menschen ist das Thema immer noch mit Ängsten verbunden. Doch in den Kliniken gehört sie zur Routine, zum sicheren Tagesgeschäft, viele tausende Male verabreicht und notwendig, um sicher operieren zu können. Die Narkose ist Aufgabe des Fachbereichs Anästhesie, was aus dem Altgriechischen übersetzt „ohne Wahrnehmung“ bedeutet. Das Ausschalten von Schmerzen und Bewusstsein während eines operativen Eingriffes ist die vorrangige Aufgabe der Anästhesie. Damit ungestört operiert werden kann, dürfen keinerlei Informationen, besonders kein Schmerzsignal, vom Körper ans Gehirn weitergeleitet werden. Das geschieht entweder durch eine Vollnarkose, während der der Patient ohne Bewusstsein ist, oder durch eine
Lokalanästhesie.

Hauptsache schmerzlos

Nicht immer muss der Patient bei einer Operation schlafen. Manche Eingriffe können mit lokaler Betäubung durchgeführt werden. Dabei werden einzelne Nerven stillgelegt, damit in bestimmten Körperregionen kein Schmerz mehr empfunden wird. Die Lokalanästhesie kommt bei kleineren und oberflächlichen Operationen zum Einsatz wie etwa einer Wurzelbehandlung oder einer Melanom-
Entfernung, Aber auch die sogenannte Spinalanästhesie ist eine lokale Narkose – hier wird ein Betäubungsmittel in den Rückenmarkskanal injiziert. Dadurch ist der Patient zwar wach, aber für die Dauer des Eingriffs vom Bauch abwärts gefühllos. Beim Kaiserschnitt kommt diese Methode häufig zum Einsatz, aber auch bei orthopädischen Operationen. „Die lokale Anästhesie hat den großen Vorteil, dass damit nicht der gesamte Organismus belastet wird und der Patient schneller wieder fit ist“, erklärt Prim. Prof. Dr. Christoph Hörmann, Leiter der Anästhesie am Universitätsklinikum St. Pölten. Bei vielen Eingriffen ist es allerdings notwendig, das gesamte Bewusstsein des Patienten auszuschalten. Das geschieht in der Vollnarkose.

Ab in den OP

Ist ein operativer Eingriff geplant, wird er erst einmal ausführlich sowohl mit der Chirurgie als auch der Anästhesie besprochen. Dabei entscheiden die Fachärzte gemeinsam mit dem Patienten über die Art der Anästhesie und klären über mögliche Risiken auf. Im Vorfeld der Operation wird auch abgeklärt, ob sonstige Erkrankungen vorliegen, ob Herz und Lunge gesund oder Allergien gegen bestimmte Medikamente bekannt sind. Bei Patienten mit schwerem Lungenleiden oder Beeinträchtigung von Gehirnfunktionen (z. B. Demenz) verzichten die Ärzte, soweit dies möglich ist, auf eine Voll­narkose, erklärt Hörmann: „Diese Patienten versuchen wir mit Regionalanästhesie zu versorgen, wenn es das Operationsgebiet erlaubt.“ Das Gleiche gelte auch im Falle einer Schwangerschaft.
Das Aufklärungsgespräch mit dem Patienten ist überaus wichtig. „Der Patient muss spätestens einen Tag vor dem geplanten Eingriff so aufgeklärt werden, dass er oder sie in der Lage ist, der Operation zuzustimmen oder sie abzulehnen. Das sind gesetzliche Vorgaben“, betont Hörmann.

Sicherheit als oberstes Gebot

Wie im Flugbetrieb gibt es auch im Operationssaal Checklisten zur Sicherheit: Ist der Patient im OP und bereit für die Narkose, wird nochmals seine Identität überprüft, um Verwechslungen auszuschließen. Zuvor hat er vielleicht schon ein Beruhigungsmittel bekommen, um Nervosität oder Angst vor dem Eingriff zu lindern. Nun wird eine Sauerstoffmaske über dem Mund des Patienten platziert und das Blut mit Sauerstoff angereichert. Dann beginnt die Einleitung der Narkose. Drei Medikamentengruppen bewirken nun gemeinsam das, was die Vollnarkose ausmacht und eine Operation erst möglich macht: tiefen Schlaf, vollkommene Schmerzfreiheit und Entspannung der Muskulatur.
„Zuerst wird das Bewusstsein in den Schlaf geschickt, und zwar mit sogenannten Hypnotika“, erklärt Hörmann. Das gebräuchlichste Hypnotikum ist Propofol. Es wird zur Narkoseeinleitung über die Vene injiziert, der Patient schläft tief ein. Neben dem gewünschten Bewusstseinsverlust schaltet Propofol allerdings auch den Atemantrieb aus, was in Folge zum Atemstillstand führt. Deshalb muss jeder Patient in Vollnarkose intubiert und künstlich beatmet werden. Dabei wird ein dünner Plastikschlauch in die Luftröhre eingebracht, über den während der Operation maschinell oder per Handpumpe Luft zugeführt wird.
Um die Schmerzfreiheit zu garantieren, wird dem Patienten ein Opioid, ähnlich dem Morphin, injiziert, das ebenso den körpereigenen Atem­antrieb unterdrückt. „Schmerzmittel müssen so dosiert werden, dass der Patient auch während des Schlafs keine Schmerzen spürt und der Organismus nicht in Stress gerät“, erklärt Hörmann.
Außerdem kommt eine Substanz zum Einsatz, die die gesamte Muskulatur des Körpers entspannt, ein sogenanntes Muskelrelaxans. „Das ist wichtig, um optimale Bedingungen für das Operieren zu schaffen“, betont Hörmann. Diese Substanz verhindert das Verkrampfen von Muskeln und erleichtert die Intubation. Der Patient ist nun beatmet, schmerzfrei und im Tiefschlaf, die Operation kann beginnen. Währenddessen werden kontinuierlich Medikamente zugeführt, entweder über die Vene oder in Form von Gas über die Lunge, um sicherzustellen, dass der Patient nicht aufwacht.

In guten Händen

Körperfunktionen wie Herzschlag, Blutdruck oder Temperatur behält der Anästhesist genau im Blick, ist während der gesamten Operation an der Seite des Patienten. „Der Anästhesist behält den gesamten Patienten im Auge, der Chirurg ist ganz und ausschließlich auf sein Operationsgebiet konzentriert. Auch wenn am kleinen Zeh operiert wird, achten wir Anästhesisten darauf, wie es dem Herzen oder der Lunge geht. Kurz gesagt: Der Anästhesist passt auf den Patienten auf“, fasst Hörmann seine Aufgaben zusammen. Ist schließlich die Gallenblase draußen, der Bypass gelegt oder das Gefäß geflickt, wird das Hypnotikum abgesetzt und der Patient kommt im Aufwachraum langsam wieder zu sich.

Hörmann findet den persönlichen Kontakt zum Patienten sowohl vor als auch nach der Operation für sehr wichtig. Besonders wenn ein Patient eine Zeit lang auf der Intensivstation versorgt werden muss, ist dieser Kontakt oft sehr intensiv, berichtet der erfahrene Spezialist, der bereits seit 26 Jahren in diesem Fachgebiet tätig ist. „In diesem Fall beschäftige ich mich natürlich auch sehr stark mit den Angehörigen. Ich bin Begleiter während schwerer Erkrankungen, dabei wachsen mir die Patienten auch oft ans Herz“, erzählt Hörmann von den zwischenmenschlichen Aspekten seines Berufs. Es ist ein herausfordernder, einer, der ständig volle Konzentration abverlangt. Damit alles glatt läuft, während wir tief schlafen.

Universitätsklinikum St. Pölten
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