Von Kopf bis Fuß
Ob Malen mit Naturfarben, „blindes“ Tasten über Stock und Stein oder Überwinden von Hindernissen: Vertrauen Kinder auf ihre Intuition und lassen sie sich auf ein spielerisches Entdecken ihrer Umgebung ein, steht ihnen ein sinnliches Erlebnis bevor.

Unten durch und rundherum: Mit einem Rollbrett oder einer Decke wird ein Hindernisparcours zum Abenteuer. Foto: Gerald Lechner
Der Duft der Blumen, das Kitzeln der Grashalme an den Füßen, das Zwitschern der Vögel und der herrliche Geschmack der Früchte aus dem Garten: Gerade im Sommer lässt sich die umliegende Natur mit allen Sinnen entdecken. Schmecken, Tasten, Fühlen, Riechen und Hören – all diese Sinne standen deshalb im Fokus des „Fest der Sinne“ am 22. Mai 2015 im Sportzentrum NÖ in St. Pölten. Es lieferte den Kindern und ihren Lehrkräften zahlreiche Ideen für die Schule und zu Hause und rückte vor allem eines in den Vordergrund: den Spaß an der Bewegung. Gefeiert wurde der Abschluss des Jubiläums: 20 Jahre »Bewegte Klasse« (siehe Kasten Seite 40). Zahlreiche Schulklassen aus ganz Niederösterreich folgten der Einladung in das Sportzentrum NÖ, um einen Vormittag lang etwa 30 verschiedene Stationen rund um das Thema Sinne zu besuchen. Die besten Ideen für den Sommer stellt Ihnen GESUND&LEBEN vor.
Stolpersteine überwinden
Präzises Springen und Hindernisse überwinden – das sind die Basics beim sogenannten Freerunning. In dieser individuellen Form der Bewegung geht es in erster Linie darum, sein Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Wie man etwaige Hindernisse oder Stolpersteine dabei überwindet, ist einem selbst überlassen. All jene Bewegungsformen, die dabei zum Einsatz kommen – Hüpfen, Rollen und Springen –, stellen Kinder oft vor eine Herausforderung. Dabei findet man in den heimischen Gärten oder bei einem Spaziergang durch den Wald viele verschiedene Balance-
Elemente, die statt Freerunning eine Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten zulassen. Über umgeschnittene Baumstämme lässt es sich leicht balancieren, Wasserpfützen oder Baumstümpfe animieren zum Hüpfen und Springen. Wird Freerunning im Turnunterricht eingesetzt, lässt man die Kinder nach kurzer Einführung vor allem eines: einfach laufen. Sportwissenschafter Mag. Markus Walzel von der Initiative »Tut gut!« sagt: „Kinder haben einen eigenen Blick dafür, wie sie die Hindernisse überwinden. Wenn man fünf Kinder loslaufen lässt, fallen ihnen garantiert zehn Sachen ein. Freerunning fördert eben die Kreativität in der Bewegung.“ Und vor allem: So individuell die Kinder den Parcours bewältigen dürfen, eines seien sie danach garantiert nie: unglücklich. „Es zählt nicht der weiteste Sprung; jeder bewegt sich auf seine Art und Weise. Dadurch erfährt jedes Kind sein ganz individuelles Erfolgserlebnis“, bekräftigt Walzel.
Gegenseitiges Vertrauen
Wenn der Sehsinn ausgeblendet wird und man im Dunkeln tappt, kommt neben den anderen Sinnen vor allem eines zum Einsatz: die eigene Intuition. Beim „Dialog im Dunkeln“ werden einem Kind die Augen verbunden und es wird von einem anderen Kind durch den Raum geführt. Auf dem Weg bis zum Ziel am anderen Ende des Raumes befinden sich jede Menge Hindernisse wie Langbänke, Matten, Holz und Steine, die den kleinen Spaziergang zu einem Abenteuer machen. Bewegungsexpertin Mag. Alexandra Benn-Ibler von der Initiative »Tut gut!« erklärt: „Schalten wir den Sehsinn aus, nehmen wir plötzlich ganz andere Dinge wahr. Man steht wackelig auf den Füßen, nimmt Gerüche anders wahr, spürt viel mehr – wird einfach achtsamer.“ Eine Steigerung der Übung ist, sein Gegenüber loszulassen und sich allein mit Worten durch den Raum zu bewegen. Im Alltag lässt sich dieses Experiment etwa bei einem Spaziergang durch die Natur wunderbar umsetzen. Mit verbundenen Augen auf dem Weg über Stock und Stein führt einen das Gegenüber mittels eines akustischen Signals wie das Zusammenschlagen von zwei Steinen sicher bis zum Ziel. Für eine kurze Zeit auf die visuellen Eindrücke zu verzichten und sich „blind“ fortzubewegen führt zu einer bewussten Entschleunigung: „Man ändert das Tempo und muss vor allem eines: dem anderen vertrauen“, sagt Benn-Ibler.
Chemie trifft Naturmaterialien
Ein einfaches Blatt Papier, eine Wachskerze, Seife und der Saft von Roten Rüben: Mehr braucht es nicht, um ein wunderschönes Bild zu kreieren. Verschiedene Materialien aus der Natur wie etwa Beeren, Blüten, aber auch Gras oder verschiedene Blätter eignen sich hervorragend, um aus ihrem Saft farbkräftige Kunstwerke zu zaubern. Um etwas Kontrast zu schaffen, wird zuerst mit der Wachskerze auf dem Papier gezeichnet; malt man anschließend zum Beispiel mit dem Rote-Rüben-Saft darüber, hebt sich die Zeichnung ab und ein Kontrast entsteht. Besonders spannend ist es, wenn man anschließend noch mit Seife an manchen Stellen darüber malt, denn dann verändert sich die Farbe durch die basischen Komponenten der Seife. „Das Malen mit Naturmaterialien fördert vor allem die Kreativität der Kinder“, erklärt Alexandra Benn-Ibler. Solch farbenfrohe Experimente verstärken den Bezug zur Natur und die Kinder tasten sich spielerisch an das Thema Chemie heran.
Eigene Grenzen im Fokus
„Wie weit schaffe ich es hinauf?“ Die eigenen Grenzen zu spüren und wahrzunehmen steht beim Klettern an erster Stelle. „Die Kinder kennen ihre natürlichen Grenzen und wissen, wie weit sie klettern können. Sie vertrauen auf ihre Fähigkeiten“, weiß Alexandra Benn-Ibler. Zum eigenen Vertrauen kommt aber vor allem das Zutrauen der Eltern hinzu, ein guter Mittelweg aus Ver- und Zutrauen ist meistens ideal. Durch die Überkreuz-Bewegungen werden beide Gehirnhälften miteinander verknüpft und die Muskulatur gestärkt. Die Lust am Kraxeln und Klettern entdecken Kinder meist bereits im Kleinkindalter, wenn sie den ersten Sessel besteigen oder die Stiege krabbelnd erklimmen. In der Natur oder im heimischen Garten bieten vor allem Bäume eine ideale Gelegenheit, um die Kletterkünste zu perfektionieren. Und im Turnunterricht lässt sich die Sprossenwand für Kletterübungen einsetzen.
Mit allen Sinnen
Unsere Sinne kommen oft miteinander zum Einsatz. Konzentriert man sich bewusst auf einen Sinn, eröffnen sich intensive Erlebnisse. Dinge zu erriechen, sich ganz auf seine Nase zu verlassen und gleichzeitig den Sehsinn auszuschalten, erfordert viel Konzentration, da viele Gerüche einander ähneln. Dabei kommt es vor allem auf die zarten Nuancen an, die jeden Geruch einzigartig machen und so den Kindern ein spielerisches Abenteuer bieten. Ätherische Öle sind neben Alltagsgerüchen eine gute Gelegenheit, den Kindern verschiedene Düfte näherzubringen. Dafür werden einige Tropfen auf einen Wattebausch geträufelt, danach entfaltet sich rasch der volle Duft.
Dinge ertasten
Der Sehsinn ist der Hauptsinn des Menschen; wie sich das Gesehene im Gehirn des Menschen dann verankert, ist von Mensch zu Mensch individuell. Um die Konzentration zu schärfen und das Gedächtnis zu trainieren, werden beispielsweise verschiedene Gegenstände auf einem Tisch platziert. Die Kinder werfen einen kurzen Blick darauf, danach wird eine Decke darüber gelegt. Ziel ist es, sich den Platz der einzelnen Dinge zu merken und einzuprägen. Sehen verknüpft sich meist immer mit dem Hören; es ist für Kinder selbstverständlich, das Gehörte auch visuell wahrzunehmen. Hält man die Augen geschlossen und konzentriert sich nur auf das gehörte Geräusch, wird es schwierig, wirklich richtig zu tippen. Ein weiterer Schritt ist dann, das Gehörte auch zeichnerisch zu verarbeiten: eine besondere Herausforderung, wenn man kein vorgegebenes Bild dazu im Kopf hat. Oder man füllt beispielsweise einen Sack mit Alltagsgegenständen wie einem Schwamm oder Nüssen und die Kinder ertasten nach und nach die einzelnen Dinge.
Blind essen
Der Geschmackssinn wiederrum kommt beim Essen und Trinken zum Einsatz, meist in Begleitung von den visuellen Eindrücken des Gerichts und dem Tastsinn. Legt man den Fokus einzig auf das Schmecken, wird das Essen zu einem besonderen Erlebnis. Mit verbundenen Augen lässt man den Nachwuchs selbst erraten, was auf den Tisch gekommen ist. „Durch das Wegfallen des Sehsinns nimmt man die Geschmäcker intensiver wahr und schmeckt vielleicht das eine oder andere anders“, erklärt Benn-Ibler.
Jagd nach dem Ball
Ein spannendes Spiel für den Turnunterricht ist das sogenannte Indoorhockey: Mit Schläger und Ball werden beim Hockey vor allem der Teamgeist gestärkt und die motorischen Fähigkeiten der Kinder ausgebaut. Doch nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause lässt sich dieser Sport hervorragend ausüben: Ein Tennisball und ein einfacher Holzstock als Schläger reichen, um an einem verregneten Tag ein spannendes Hockeyspiel im Wohnzimmer auszutragen. Alternativ dazu, auch um die Wohnzimmereinrichtung vor Schäden zu bewahren, können Schläger und Bälle auch aus alten Zeitungen und Paketband gebastelt werden; mit kleinen Gegenständen wie Dosen und Schachteln lässt sich dann ein spannender Parcours gestalten, der garantiert für jede Menge Spaß sorgt.
Rope Skipping
Es ist einfach, billig und lässt sich überall und jederzeit ausüben: das klassische Springschnurspringen aus vergangenen Tagen. Neu aufgerollt bietet Rope Skipping, ursprünglich in den USA entwickelt, eine kreative Form der Bewegung. Neben der Koordination setzt Rope Skipping, das vor allem durch seine bunten Springschnüre besticht, auf Ausdauer. Im Gegensatz zum herkömmlichen Schnurspringen können dabei viele verschiedene knifflige Figuren, die sogenannten Skills, erlernt werden, die besondere Konzentration und Geschicklichkeit erfordern. Wer das Hüpfen mit den bunten Schnüren regelmäßig betreibt, bleibt nicht nur fit, sondern beugt besonders durch die Sprungbewegungen Osteoporose vor.
Kreativität freien Lauf lassen
Das Spielen am Boden fördert die Entwicklung: „Durch den intensiven Bodenkontakt mit unterschiedlichen Körperteilen wird unsere Tiefenwahrnehmung angesprochen, die Koordination geschult und nebenbei die Muskulatur gekräftigt und gedehnt“, sagt Alexandra Benn-Ibler.
Besonderen Spaß macht dabei vor allem das Zeichnen und Malen mit Straßenkreiden auf der Straße. Werken viele Kinder gemeinsam an einem Kunstwerk, machen sie dabei auch Erfahrungen mit den eigenen Grenzen. Ist gerade keine geeignete Straße in Reichweite oder eignet sich das Wetter nicht für einen Ausflug vor die Haustür, dann können auch einfach einige Bögen Packpapier zum Malen am Boden verwendet werden. Beim Malen in der Gruppe ist es hilfreich, wenn man die Malfläche in einige Segmente unterteilt und jedem Kind seinen Bereich zuteilt. So
werden erste Grenzen gesetzt und die Kinder können in ihrem Bereich ihrer Kreativität freien Lauf lassen.
Wahrnehmung schärfen
Rollen, Gleiten, Flitzen – je schneller sich Kinder mit verschiedenen Fahrzeugen bewegen, desto größer das Vergnügen. Neben klassischen Fortbewegungsmitteln wie Fahrrad oder Roller gibt es auch alternative Bewegungsideen, die die Kinder ganz schön ins Schwitzen bringen. Mit einem Rollbrett beispielsweise können in einem
Parcours verschiedene Hindernisse überwunden werden (als Alternative eignen sich auch Möbeltransportwagen aus dem Baumarkt). Auf dem Bauch liegend trainieren die Kinder dabei die Beweglichkeit und bauen gleichzeitig Muskeln auf. Wichtig ist dabei vor allem, seine eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen: Wie schnell traue ich es mir zu, durch den Raum zu rollen? Wie lang sind eigentlich meine Beine? Um nicht vom Brett zu fallen, muss die Körperspannung passen. Alternativ kann auch eine Decke für das Flitzen verwendet werden; dabei setzt sich ein Kind auf die Decke und ein anderes Kind zieht es durch den Raum.
Bewegte Klasse
Ein Programm für Grundschulen und Sekundarstufe I
Mit der »Bewegten Klasse« bringt die Initiative »Tut gut!« Bewegung in die Schulen: Die »Bewegte Klasse« sieht sich als Fortbildung für Lehrkräfte vor Ort und setzt in Form von praktischer Arbeit mit den Kindern (in der Klasse, in der
Pausenhalle, im Turnsaal, im Schulhof, am Sportplatz etc.) Impulse für einen prozessorientierten Unterricht, die Integration der bewegten Inhalte in den pädagogischen Alltag, fächerübergreifende, themenzentrierte Ansätze, die Teamentwicklung in der Schule und den Transfer der bewegungspädagogischen Inhalte in das Elternhaus.
Informationen: »tut gut«-Hotline: 02742/22655, www.noetutgut.at