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Viel auf dem Buckel

Rückenschmerzen sind bereits Volkskrankheit Nummer eins und der häufigste Grund für Arztbesuche. Woran liegt das? Wie kann man vorbeugen? Und was kann man tun, wenn es einen doch erwischt hat?


Rückenschmerzen können viele Ursachen haben – wenden Sie sich lieber zu früh als zu spät an einen Arzt.

Landesklinikum Neunkirchen
Peischinger Straße 19
2620 Neunkirchen
Tel.: 02635/9004-0
www.neunkirchen.lknoe.at

Prim. Dr. Alfred Ungersböck, Leiter der Orthopädie, Orthopädischen Chirurgie und Unfallchirurgie im Landesklinikum Neunkirchen

Dr. Gabriele Huber, Ärztliche Leiterin des Badener Kurzentrums

Fast jeder kennt sie aus eigener leidvoller Erfahrung: quälende Rückenschmerzen, die den Alltag zur Pein machen und im schlimmsten Fall sogar dazu führen, dass man seiner Arbeit nicht mehr nach­gehen kann. Tatsächlich sind Rückenschmerzen bei Männern die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit, bei Frauen die zweithäufigste. Und nicht wenige Betroffene müssen deshalb sogar frühzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden, was – nebenbei bemerkt – auch zu enorm hohen volkswirtschaft­lichen Kosten führt. Rückenbeschwerden werden also immer mehr zu einer unliebsamen Begleit­erscheinung. Da drängt sich die Frage auf, ob das nicht auch etwas mit unserer Zeit zu tun hat – einer Zeit, in der immer mehr Menschen krampfhaft versuchen, „Haltung zu bewahren“, einer Zeit, in der jeder von uns jede Menge „auf dem Buckel trägt“, einer Zeit, in der vielen „die Angst im Nacken sitzt“, einer Zeit auch, in der nicht wenige „den Halt verloren haben“, den eine gesunde Wirbelsäule als tragendes Fundament dem Körper eigentlich gibt.
„Neben körperlichen können sich auch psychische Belastungen auf die Wirbelsäule übertragen, und zwar vor allem auf die Halswirbelsäule. Dies äußert sich dann häufig in Form von Nacken- und Kopfschmerzen, die bei Frauen noch weiter verbreitet sind als bei Männern“, sagt dazu Prim. Dr. Alfred Ungersböck, der Leiter der Orthopädie, Orthopä­dischen Chirurgie und Unfallchirurgie im Landesklinikum Neunkirchen. Beim Begriff Rückenschmerz handelt es sich um kein einheitliches Erkrankungsbild, sondern um eine Reihe von Beschwerden wie Schmerz, Muskelverspannung oder Steifheit. Diese treten häufig im Halswirbel­bereich in Form von Nackenschmerzen oder im Bereich unterhalb des Rippenbogens auf. Experte Ungersböck zu den Hauptursachen: „Die Beschwerden entstehen vorwiegend durch Überlastung, aber auch durch Fehlhaltung, zum Beispiel ‚falsches‘ Sitzen, sowie durch Gelenkabnützungen.“

Ursache: Gelenkabnützungen

Letzteres betrifft vor allem Menschen in fort­geschrittenem Alter, die dadurch oft große Schmerzen bei Bewegung leiden, und: Gelenk­abnützungen, die wegen Arthrose entstehen, sind die häufigste Ursache für Rückenbeschwerden. Typische Patienten dieser Form von Rückenschmerz sind auch
solche, die wegen einer Wirbelsäulenverkrümmung einen sogenannten Rund­rücken entwickeln. Behandelt werden sie in der Regel mit entzündungshemmenden Schmerzmitteln.

Ursache: Schwäche oder Überlastung

Eine zweite Gruppe von Rückenschmerzpatienten sind jene, die unter einer Bandscheibenproblematik leiden. „Dies sind typischerweise Patienten im mittleren Lebensalter – zwischen 30 und 45 Jahren –, die wegen einer genetisch bedingten Schwäche oder auch wegen großer Belastung einen Bandscheibenvorfall entwickeln“, erläutert Ungersböck. „Ein Bandscheibenvorfall ist mit sehr starken, akut einschießenden Schmerzen und manchmal auch mit Lähmungserscheinungen verbunden, und zum Teil muss hier auch operiert werden.“

Ursache: Entzündungen

Schließlich unterscheiden Mediziner noch eine dritte große Gruppe von Rückenschmerzen, deren Ursache Entzündungen sind, und die viele von uns kennen und dabei davon sprechen, dass sie sich etwa „das Kreuz verrissen“ haben. „Die Wirbelsäule besteht aus Knochen, Gelenken, Muskeln und Nerven. All diese vier anatomischen Strukturen können sich entzünden. Oft geschieht das in Verbindung mit einer Verkühlung oder einer Entzündung in einem anderen Bereich des Körpers, die sich dann aber auch auf die Wirbelsäule überträgt. Mitunter kann auch Zugluft ein Auslöser sein“, weiß Ungersböck. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um lokal begrenzte Entzündungen von Muskeln, Bändern oder Gelenken. Behandeln kann man diese Beschwerden oft sehr gut mit Massagen und Entspannungsmethoden, auch Schmerzmittel
werden dabei immer wieder eingesetzt.

Bloß nicht ignorieren!

Tatsächlich werden – auch starke – Schmerzmedikamente häufig in der Behandlung von Rückenschmerzen eingesetzt, und das ist laut Experten eine oft sehr wichtige und effiziente Vorgehensweise, weiß Ungersböck: „Es ist extrem wichtig, dass der Schmerz nicht chronisch wird. Von chronisch sprechen wir dann, wenn er länger als drei Monate besteht. Ist das nämlich der Fall, so kann sich im Gehirn leicht ein sogenanntes Schmerzgedächtnis ausbilden, dessen Bestehen dazu führt, dass man den Schmerz nur mehr sehr schwer wegtherapieren kann.“ Darum ist ganz besonders darauf zu achten, dass man den Schmerz so rasch wie möglich und sehr konsequent behandelt (siehe Kasten Seite 19).
„Solange man das Gefühl hat, sich noch relativ gut bewegen zu können, die Beine gut spürt, Kraft in den Füßen und Zehen hat und Harn und Stuhl wie gewohnt halten kann, so kann und soll man eigentlich immer selbst etwas tun“, sagt der Orthopäde. Er empfiehlt zunächst Dehnungsübungen, Massagen, Wärme- oder Kältebehandlungen. „Entzündliche Rückenschmerzen muss man eher kühlen, degenerativ bedingte hingegen eher wärmen. Was am besten nützt und hilft, spüren die Betroffenen meist selbst am besten.“ Auch vom Einsatz diverser Rheumasalben, die am Markt meist rezeptfrei erhältlich sind, hält der Experte viel: „Diese Salben haben in der Regel keine Nebenwirkungen und dabei doch eine gut zu nennende Wirkung an der Oberfläche, denn sie dringen bis zu eineinhalb Zentimeter ins Gewebe ein.“ Besonders gut und auch angenehm wirken diese Mittel, wenn sie mit Massagen verbunden
werden. „Eine sehr einfache und unkomplizierte Methode der Selbsthilfe. Die sollte – unter den oben erklärten Bedingungen – jeder ausprobieren, bevor er einen Arzt konsultiert“, so das Resümee des Experten. Auch gegen eine gewisse Selbstmedikation „light“ hat Ungersböck nichts einzuwenden. Wirksame, auch rezeptfreie Medikamente gegen Schmerz gibt es viele, und er empfiehlt, bei Empfindlichkeit auch ein Magenschutzmittel dazuzunehmen.

Wann zum Arzt?

Wer nämlich kaum mehr aus dem Bett kommt, weil er beim Aufstehen so große Schmerzen verspürt, wer sich fast nicht mehr bewegen kann, wessen Beine, Füße oder Zehen sich taub anfühlen und wer Harn und/oder Stuhl nicht halten kann, muss umgehend in fachärztliche Behandlung. „Grundsätzlich ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Er kann in vielen Fällen helfen und sollte gegebenenfalls auch die Übersicht über weitere Behandlungen haben“, sagt Orthopäde Ungersböck. Zunächst sollte mit einer individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmten, sogenannten multimodalen Schmerzbehandlung mit Infiltrationen, physikalischer Therapie und Heilgymnastik sowie alternativmedizinischen Ansätzen begonnen werden. „Ziele von Infiltrationen der Wirbelsäule etwa sind Schmerzbefreiung, Muskelentspannung, Korrektur der Fehlhaltung und nicht zuletzt auch die Beruhigung des Patienten“, erklärt der Experte und betont, dass so die gefährliche Schmerzspirale unterbrochen werden kann.

Wann zur Kur?

Länger anhaltende Rückenbeschwerden, die bereits mit schmerzlindernden und muskelentspannenden Medikamenten behandelt wurden, und auch solche, die trotz ambulanter Therapien keinen wirklichen Erfolg gezeitigt haben, sind laut Aussage der Ärztlichen Leiterin des Badener Kurzentrums, Dr. Gabriele Huber, auch eine echte Indikation für einen Kuraufenthalt. In Baden, wo man speziell auf Patienten mit Beschwerden am Stütz- und Bewegungsapparat ausgerichtet ist, setzt man stark auch auf den schon aus der Römerzeit als besonders schmerzlindernd, muskelentspannend und entzündungshemmend bekannten Schwefel aus der hauseigenen Quelle. „Wir setzen Schwefelbäder, Schwefelmoorpackungen und Schwefeltrinkkuren sehr erfolgreich ein. Zudem bieten wir unseren Patienten ein breit gefächertes Therapieprogramm. Es reicht von durch Physiotherapeutinnen angeleiteter Gymnastik im Trockenen sowie unter Wasser über zielgenaue, gut schmerzlindernd und durchblutungsverbessernd wirkende Elektrotherapie, Ernährungsberatung, Akupunktur und Ayurveda bis hin zu psychologischer Unterstützung, bei der es vor allem um das Erlernen bewährter Entspannungsmethoden zur Stressprophylaxe geht. Denn Stress kann auf allen Ebenen krank machen und schlägt sich nicht selten auf den Rücken“, sagt Huber.

Hochprofessionelle Chirurgie

Erst wenn mit allen bisher beschriebenen Methoden keine entscheidende Besserung der Problematik erzielt werden kann, denkt man an chirurgische Eingriffe, auf die die Fachärzte der Orthopädie in den NÖ Landeskliniken, wie etwa in Neunkirchen, spezialisiert sind. „Wir bieten ein breites Spektrum im Bereich der hochspezialisierten operativen Wirbelsäulenchirurgie wie etwa die mikroskopische Bandscheibenchirurgie, minimal invasive Stabilisierungen oder minimal invasive Verfahren zur Behandlung von Wirbelbrüchen“, erklärt Experte Ungersböck.
Prävention ist die effektivste Behandlungs­methode! „Ganz wichtig sind wirbelsäulenstabilisierende Übungen, die die Wirbelsäule aufrichten und ‚gerade‘ machen, und dazu gehört auch das gleichzeitige Anspannen der Bauchmuskulatur“, sagt Ungersböck. Sein Tipp für Vielsitzer: „Alle viertel oder halben Stunden die Position am Sessel wechseln und einmal aufrecht, das andere Mal
wiederum vorgebeugt und ruhig auch mal ‚schlampig‘ sitzen.“ Das ständige brave Aufrechtsitzen, das man uns oft eintrichtern will, sei gar nicht so gut für die Wirbelsäule, weiß der Experte: „Die evolutionäre Entwicklung der Wirbelsäule vollzog sich vom Fisch über den Vierbeiner zum Menschen, dessen Muskulatur nun seine ‚unnatürlich‘ aufrechte Haltung tragen muss. Das kann naturgemäß zu Rücken­beschwerden führen.“ Wenn das nicht allen stets aufrecht durchs Leben gehen wollenden Zeitgenossen zu denken gibt.

FOTO: istockphoto

Chronische Rückenschmerzen

Chronische Schmerzen können Schäden in Leib und Seele anrichten – das können Hirn­forscher, Mediziner und Psychologen mittlerweile auf vielen Ebenen nachweisen: Zu Beginn verändert sich das Nervensystem, dann werden auch andere Körperfunktionen und die Psyche beeinträchtigt. Tatsächlich nehmen chronische Schmerzen den ganzen Menschen in Besitz, denn wenn der „bellende Wachhund der Gesundheit“, der akute Schmerz, seine Warnfunktion verliert und zur Dauerfolter wird, kommt es zu Veränderungen im Erbgut von Nervenzellen, bei der Produktion von Hirnbotenstoffen, bei der Kommunikation von Zellen und Zellverbänden, in der Aktivität des Gehirns und in der Psyche.

Wenn die Nervenzellen im Rückenmark ohne Pause „feuern“, strömt dabei verstärkt Kalzium in die Zellen ein. In der Folge wird die Reizübertragung von den schmerzleitenden Nervenbahnen an Überträgerstellen auf die Neuronen hochreguliert. Diesen Vorgang kann man mit dem Lauterdrehen eines Verstärkers in der Musikanlage vergleichen.

Wird nun das ständige „Feuern“ der Neuronen nicht durch eine ausreichende Schmerz­behandlung frühzeitig durchbrochen, verselbstständigt sich der Prozess, weil die körper­eigene Schmerzhemmung diesen Mechanismus nicht mehr alleine unter Kontrolle bekommt. Die Nervenzellen werden hypersensibel und melden auch bei harmlosen, schwachen Reizen das Signal „Schmerz“, selbst dann, wenn die eigentliche Schmerzursache schon nicht mehr existiert. Das Dauerbombardement verändert die Schmerzverarbeitung und die Spiegelung von Körperarealen im Gehirn, und irgendwann ist dann das Schmerzbild im Nervensystem eingebrannt. Von chronischem Schmerz sprechen die Mediziner, wenn dieser länger als drei Monate besteht. Wenden Sie sich also gegebenenfalls früher an einen Arzt.