Muskeln statt Schmerzen
Rückenschmerzen zählen zu unseren ganz großen Volkskrankheiten. Doch der „Teufel im Kreuz“ ist kein Schicksal, mit dem man sich abfinden muss: Es gibt Abhilfe, und vor allem kann man selbst einiges tun, um dem lästigen Leiden vorzubeugen
Der Arbeitstag ist zu Ende, doch von einem leichten und beschwingten Nachhausegehen kann keine Rede sein: Der Nacken ist verspannt, die Wirbelsäule schmerzt, das Kreuz tut weh. Der Rücken ist für die meisten Menschen DIE gesundheitliche Achillesferse, und Ärzte sprechen dabei von einer echten Zivilisationskrankheit. „Zwei Millionen Österreicher klagen über Rückenbeschwerden. Schon 15 Prozent der Erstklässler haben Haltungsschäden, unter den 18-Jährigen ist jeder Dritte betroffen. Das sind alarmierende Zahlen“, warnt OA Univ.-Doz. Dr. Wolfram Brodner von der Abteilung für Orthopädie am Landesklinikum Krems.
Bewegung ist der beste Schutz
Soweit die schlechte Nachricht, doch es gibt auch eine gute, denn wie der Facharzt bestätigt, sind viele Formen von Rückenbeschwerden harmloser Natur und bessern sich meist nach wenigen Tagen deutlich. Dennoch fragt man sich, warum so viele Menschen den „Teufel im Kreuz“ sitzen haben. Prim. Univ.-Doz. Dr. Florian Gottsauner-Wolf, Leiter des neuen Orthopädie-Verbundes der Landeskliniken Krems und St. Pölten-Lilienfeld, erklärt: „Eine wichtige Ursache ist der Bewegungsmangel, unter dem heute so viele leiden: Die Menschen gehen kaum mehr zu Fuß, und auch leichte sportliche Aktivitäten wie etwa Radfahren oder Schwimmen werden zu selten bis gar nicht ausgeübt. Erschwerend kommt hinzu, dass wir alle, auch schon viele Kinder, die meiste Zeit sitzen.“
Schmerzen selbst behandeln
So hängen viele von uns den lieben langen Tag vor dem Computer, der Weg vom Büro nach Hause wird mit dem Auto zurückgelegt und viele Eltern laden ihre Kinder per Auto vor der Schultüre ab, und nach des Tages Müh machen wir es uns viel zu oft als Couchpotatoes vor dem Fernseher bequem. Kein Wunder also, dass dann der Rücken oft schmerzt. Doch man kann dem Übel in vielen Fällen mit einer Selbstbehandlung zu Leibe rücken: „Akute Rückenschmerzen kann man mit Schmerzmitteln, Wärme oder durchblutungsfördernden oder schmerzstillenden Einreibungen, Bädern oder Pflastern selbst behandeln. Wenn sich aber der Schmerz nach zwei bis drei Tagen nicht gebessert hat oder sogar schlimmer geworden ist und womöglich zusätzliche Beschwerden wie etwa Fieber auftreten, so muss unbedingt ein Arzt aufgesucht werden“, betont Gottsauner-Wolf. „Und auch chronische – das heißt in Abständen von einigen Monaten immer wiederkehrende – Schmerzen müssen ärztlich abgeklärt werden, vor allem dann, wenn sie schubweise auftreten und morgens nach dem Aufwachen eine gewisse Unbeweglichkeit auftritt.“
Wichtig: Exakte Diagnose!
Ihr niedergelassener Orthopäde kann eine Differenzierung und Zuordnung zu einem Krankheitsbild vornehmen. Wichtig dafür ist ein gründliches Anamnesegespräch, bei dem zunächst die klinischen Symptome erfasst werden. Dabei geht es um die genaue Dauer und das zeitliche Auftreten der Schmerzen, um etwa Ruheschmerz, Nachtschmerz und belastungsabhängige Schmerzen unterscheiden zu können. Auf diese Fragen können Sie sich gut vorbereiten, indem Sie eine Art Schmerztagebuch führen. Weiters sollte nach Hinweisen auf Infektionskrankheiten, Unfälle und anderen Erkrankungen gefragt werden, denn nicht immer sind Schäden an der Wirbelsäule die Ursache für die Schmerzen – es gibt einige andere ernsthafte Erkrankungen, die Rückenschmerzen verursachen können.
Röntgen, MR und Co
Nach dem Anamnesegespräch folgt eine klinische Untersuchung, bei der die Funktion und die Schmerzen bei Bewegung überprüft werden. Weiters wichtig für eine exakte Diagnose ist die rheumatologisch-immunologische Labordiagnostik und schließlich auch die sogenannte Bildgebung in Form von Röntgen, Sonographie oder Magnetresonanztomographie, erklärt Experte Gottsauner-Wolf: „Das konventionelle Röntgen ist nach wie vor die Methode der Wahl, bietet allerdings häufig keine wegweisenden Befunde in den ersten Erkrankungswochen, sondern dient primär dem Ausschluss gravierender Veränderungen. Die Magnetresonanztomographie ist dem konventionellen Röntgen in manchen Bereichen wie etwa der Darstellung der Bandscheibe oder entzündlicher Veränderungen überlegen. Allerdings verursacht nicht jeder Bandscheibenvorfall Schmerzen, auf manche kommen wir erst drauf, wenn wir den Patienten genau untersuchen.“
Schwierige Diagnose
Durch die Vielfalt von Rückenbeschwerden kann sich die Diagnosefindung schwierig gestalten und einiges an Geduld erfordern – aber sie gehört jedenfalls in die Hände des erfahrenen Orthopäden. Manchmal ist auch die Psyche der Auslöser von Muskelverspannungen und daraus folgenden Wirbelsäulenschäden.
Schmerz und Psyche
Doch Schmerzen sollte man auf keinen Fall als etwas hinnehmen, das man eben aushalten muss, warnen Experten. Denn vor allem chronische Schmerzen nehmen den ganzen Menschen in Besitz. Wenn der „bellende Wachhund der Gesundheit“ – der akute Schmerz – seine Warnfunktion verliert und zur Dauerfolter wird, kommt es zu zahlreichen körperlichen und psychischen Veränderungen: Wenn die Nervenzellen im Rückenmark ohne Pause „feuern“, strömt dabei verstärkt Kalzium in die Zellen ein. Die Folge: Die Reizübertragung von den schmerzleitenden Nervenbahnen an Überträgerstellen auf die Neuronen wird hochreguliert. Man kann das mit dem Lauterdrehen eines Verstärkers in der Musikanlage vergleichen. So erklären es die Experten. Wird das ständige Feuern der Neuronen nicht durch eine ausreichende Schmerzbehandlung frühzeitig durchbrochen, verselbständigt sich der Prozess, weil die körpereigene Schmerzhemmung diesen Mechanismus dann nicht mehr alleine unter Kontrolle bekommt. Die Nervenzellen werden hypersensibel und melden auch bei harmlosen, schwachen Reizen das Signal „Schmerz“, selbst dann, wenn die eigentliche Schmerzursache schon nicht mehr existiert.
Wie man mit Schmerz umgeht
Nur zu nahe liegend also, dass der schmerzhafte Aufruhr im Nervensystem auch die psychischen Funktionen eines Menschen, seine Lebensfreude und seine Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Doch inzwischen hat man herausgefunden, dass diese Prozesse keine Einbahnstraße sind: Wie ein Mensch mit Schmerz umgeht, spielt bei der Chronifizierung der Pein nämlich ebenfalls eine große Rolle.
Angesagt ist jedoch vielmehr eine gute Behandlung durch einen kompetenten Fachmann. Auch eine kurärztliche Behandlung kann Linderung bringen, weiß Dr. Sabine Weinzettl, Ärztliche Leiterin des Kurzentrums Bad Vöslau: „Verschiedene Therapiemethoden stehen zur Auswahl, jeweils abgestimmt auf Ihre Bedürfnisse: über physikalische oder Bewegungstherapie bis hin zu Extensionsbehandlung und vielem mehr.“
Was bei Rückenschmerzen hilft
Orthopäde Gottsauner-Wolf weiß, dass bei manchen Verspannungen einfach heiße Bäder helfen, und grundsätzlich immer Bewegung: „Bei den meisten Rückenbeschwerden helfen Physiotherapie und dann regelmäßige Heilgymnastik. Starke Bauch- und Rückenmuskeln sind die Basis für einen schmerzfreien Rücken. Ich kenne Menschen mit einer wirklich schauerlichen Wirbelsäule – zum Beispiel einen Konzertcellisten oder einen Gynäkologieprofessor, die schmerzfrei ihren belastenden Beruf ausüben können, so lange sie regelmäßige Heilgymnastik machen.“ Schon eine halbe Stunde pro Tag zu Fuß gehen, regelmäßig Radfahren und einmal in der Woche Schwimmen sind eine gute Grundlage – eben einfach ein bewegtes Leben. Gottsauner-Wolf: „Damit sind Sie meist schon auf der sicheren Seite. Denn wer Wirbelsäulenbeschwerden hat und meint, ein bisschen Massage allein genügt, der liegt falsch. Machen Sie Bewegung, das ist der beste Schutz vor Schmerzen.“
Landesklinikum Krems
Mitterweg 10
3500 Krems
Tel.: 02732/9004-0
www.krems.lknoe.at
Wirksame Behandlung von Rückenschmerzen
- Akuter Schmerz: Schmerzstillende und entzündungshemmende Medikamente (NSAR) haben eine in wissenschaftlichen Studien sehr gut belegte Wirksamkeit, sind aber zur Langzeitanwendung nicht zu empfehlen. Weiters zeigen Studien eine deutliche Schmerzreduktion, wenn die körperliche Aktivität beibehalten wird. Als nicht nützlich bzw. schädlich hat sich Bettruhe erwiesen. Sie führt zu geringerer Beweglichkeit in den Gelenken und zeigt keine positiven Effekte.
- Chronischer Schmerz: Zahlreiche Studien zeigen, dass Bewegung (körperliches Training) anderen Therapieansätzen überlegen ist. Wahrscheinlich nützlich sind auch verschiedene schmerzstillende Medikamente (schwache Opioide und NSAR), Injektionen in Bänder und Triggerpunkte, Rückenschule, Verhaltenstherapie und Massagen.
Rückenbeschwerden
85 Prozent der Rückenschmerzen weisen auf dem Röntgenbild keine organische Ursache auf. Die Spezialisten sprechen in diesem Fall von „unspezifischen“ Beschwerden. Das bedeutet, dass keine Nervenwurzeln beteiligt sind und dass andere körperliche Erkrankungen ausgeschlossen werden konnten. Nur vier bis fünf Prozent der Schmerzen werden durch Reizung oder Schädigung von Nervenwurzeln verursacht, und weniger als ein Prozent durch schwerwiegende Erkrankungen wie Rheuma, Infektionen oder Tumore. Rückenschmerzen sind also in der Regel gutartige Beschwerden.