Keine Lappalie!
Ob beim Sport, im Haushalt oder im Straßenverkehr – eine Gehirnerschütterung kann man sich schnell zuziehen. Keinesfalls darf man sie auf die leichte Schulter nehmen, sagen die Experten.
Ein Sturz, ein Aufprall – der Kopf donnert gegen harten Widerstand, und schon ist es passiert: Oft folgt eine unmittelbar einsetzende, nur Sekunden andauernde Bewusstlosigkeit, später Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Kopfschmerzen, und man bemerkt, dass man sich an die Dinge, die vor dem Unfall passiert sind, nicht erinnern kann – der klassische Fall einer Gehirnerschütterung. „Dabei handelt es sich um die leichteste Form eines geschlossenen Schädel-Hirn-Traumas, das in den beiden schwereren Ausprägungen eine Gehirnprellung bzw. eine Gehirnquetschung darstellt“, erklärt Prim. Dr. Thomas Neubauer, Leiter der Unfallchirurgie im Landesklinikum Horn.
Bei diesen Begriffen denkt man sofort an den schweren Sturz des mehrfachen Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher Ende Dezember oder von Schispringer Thomas Morgenstern im Jänner auf dem Kulm. Unfall-Experte Neubauer erklärt: „Unser Gehirn schwimmt in einer Flüssigkeit, die leichtere Erschütterungen abpuffern kann. Wird das Gehirn aber stärker erschüttert, zum Beispiel durch einen Schlag oder Sturz, so kann es sein, dass der normale ‚Flüssigkeitspolster‘ nicht ausreicht und das Gehirn gegen die Innenseite des Schädels prallt. So können vorübergehende Funktionsstörungen bei den einfachen Verschaltungen oder Kontrollmechanismen im Gehirn entstehen.“
Die Symptome
Sofort einsetzende, definitionsgemäß bis zu maximal zehn Minuten andauernde Bewusstlosigkeit ist daher eines der sogenannten Kardinalsymptome der Gehirnerschütterung, das zweite die Amnesie, der Gedächtnisverlust. „Wir unterscheiden die in den meisten Fällen auftretende retrograde Amnesie, die sich auf einen Zeitraum von einigen Minuten bis zu einer Stunde vor Auftreten des Traumas bezieht, und die anterograde Amnesie – sie bezeichnet Gedächtnisprobleme nach dem Auftreten des Traumas, ist wesentlich seltener, aber meist ein Hinweis für ein schwerer wiegendes Trauma“, erklärt der Experte. Neben den Symptomen Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen und Schwindel können auch neurologische Störungen wie gesteigerte oder herabgesetzte Reflexe oder Gefühlsstörungen Begleiter einer Gehirnerschütterung sein.
Immer ernst nehmen
Manchmal treten einige dieser Symptome erst dann auf, wenn das auslösende Ereignis eigentlich schon Tage oder Wochen zurückliegt. Warum das so ist, wissen die Forscher bis heute nicht genau. Sicher ist, dass auch dieses postkommotionelle Syndrom, das oft auch mit verminderter Leistungsfähigkeit und vermehrter Müdigkeit einhergeht, so ernst zu nehmen ist wie die Gehirnerschütterung mit sofort einsetzenden Symptomen, denn, weiß Unfall-Experte Neubauer: „Prinzipiell sollte nach jedem solchen Ereignis der Arzt aufgesucht werden. Bei schwererer Beeinträchtigung sollte man die Rettung rufen, in leichteren Fällen und wenn ein Krankenhaus in der Nähe ist, sich von einem Angehörigen oder Freund dorthin bringen lassen, sich aber keinesfalls selbst ans Steuer des Wagens setzen, denn wie gesagt kann sich die individuelle Situation rasch ändern, und dann befindet man sich in doppelter Gefahr.“
Wichtige diagnostische Schritte
Im Landesklinikum Horn ist man Tag und Nacht dafür gerüstet, Patienten mit Gehirnerschütterung exakt zu untersuchen und gegebenenfalls für 24 bis 48 Stunden stationär aufzunehmen. Der erste wichtige diagnostische Schritt ist die genaue Anamnese, bei der nach Möglichkeit auch außenstehende Beobachter befragt werden – vor allem dann, wenn der Patient unter Gedächtnisverlust leidet und den Unfallhergang nicht selbst schildern kann. Bei der folgenden körperlichen Untersuchung achtet man besonders auf Wunden am Schädel, die auf ein stärkeres Trauma hinweisen. Die Augen werden auf Lichtreize getestet und die Reflexe der oberen und unteren Extremitäten geprüft. Weiters folgen ein Röntgen des Schädels und eine Computertomographie-Untersuchung. „Das Röntgen dient dazu, einen Knochenbruch ausschließen zu können, und das bildgebende Verfahren der Computertomographie gibt Aufschluss darüber, ob morphologisch fassbare Veränderungen wie etwa Blutungen oder Quetschungen im Gehirn vorliegen, wie das bei schwereren Gehirnverletzungen der Fall ist, denn das müssen wir natürlich unbedingt abklären, um das weitere Vorgehen planen zu können“, sagt Neubauer.
Kontrolle ist angesagt
Patienten mit einer Gehirnerschütterung erhalten in der Regel eine begleitende Therapie gegen ihre Symptome. Wer stationär aufgenommen wird, dessen Vitalfunktionen werden – auch im Schlaf – kontinuierlich durch geschultes Personal überwacht, denn „eine Computertomographie ist eine Momentaufnahme. Es kann durchaus sein, dass sich innerhalb der ersten 24, seltener auch der ersten 48 Stunden eine deutliche Verschlechterung des Zustands ergibt, und daher legen wir großen Wert auf diese Kontrollen, um eventuelle Komplikationen rechtzeitig behandeln zu können.“
Vorsicht bei Alt & Jung
Speziell gefährdet eine Komplikation zu erleiden, sind Patienten, die Medikamente einnehmen, welche die Blutgerinnung beeinflussen. Das sind meist ältere Menschen, bei denen man im Fall einer Gehirnerschütterung besonderen ärztlichen Bedacht nimmt. Das tut man des Weiteren auch bei Babys und Kleinkindern, die ihre Beschwerden nicht äußern können, und das stellt naturgemäß eine große Herausforderung für die Ärzte dar, die in diesem Fall ganz besonders auf die Auskünfte der Eltern angewiesen sind, weiß Primarius Neubauer: „Eltern sollten ihr Kind, nachdem es einen Unfall hatte, ganz genau beobachten – vor allem im Hinblick auf die Augen, das Sprechen und die Bewegungen. Babys und Kinder reagieren bei einer Gehirnerschütterung häufig mit dem sogenannten Dornröschenschlaf-Syndrom, das heißt, sie werden sehr schläfrig und kaum erweckbar. Dieses Symptom ist aber auch charakteristisch für eine Schädel-Hirn-Blutung und muss daher unbedingt ärztlich abgeklärt werden.“ Elterliche Ängste kann der Experte, der viele Jahre lang auch auf einer Kinderchirurgie gearbeitet hat, beruhigen: „Komplikationen bei Kleinkindern sind extrem selten und lassen sich mit einem Gewitter vergleichen: Es kommt sehr schnell, ist oft heftig, zieht aber ebenso schnell wieder ab, wenn man es beherrscht.“
Der Fall Gehirnerschütterung ist also immer ernst zu nehmen, aber wenn es keine Komplikationen gibt, verschwinden die Symptome nach einigen Tagen körperlicher Schonung und Bettruhe von allein. Wichtig ist in den ersten Tagen aber auch, Fernsehen, Sport und Computerarbeit zu meiden. Meiden sollte man naturgemäß auch wiederholte Gehirnerschütterungen, wie sie sich etwa bei Extremsportarten wie Boxen oder dem heute trendigen American Football ergeben, denn bei derartigen Mehrfacherschütterungen unseres kostbarsten Organs kann es zu einer Schädigung bis hin zur Entwicklung einer Demenz kommen. Vermutlich entstehen dadurch nämlich Mikroblutungen und später Mikrovernarbungen im Gehirn, die die Schaltkreise und damit die kognitive Leistung beeinträchtigen. Und noch etwas liegt dem Experten Neubauer in Sachen Gehirnerschütterung am Herzen: „Wenn Sie – etwa an einer Unfallstelle – einen möglicherweise Betroffenen sehen, gehen Sie unbedingt hin, kontrollieren Sie Atmung und Puls. Falls er bewusstlos ist, drehen Sie ihn auf die Seite, rufen Sie umgehend die Rettung und bleiben Sie bei dem Verletzten, bis die Rettungskräfte an Ort und Stelle sind.“
Im Rahmen von „Treffpunkt Gesundheit“ hält Prim. Dr. Thomas Neubauer am 12.03.2014 einen Vortrag im Landesklinikum Gmünd: Moderne Verfahren in der Behandlung von Wirbelsäulenverletzungen.
Landesklinikum Horn
Spitalgasse 10
3580 Horn
Tel.: 02982/9004-0
www.horn.lknoe.at
„Nur eine Gehirnerschütterung?“: Neue Forschungsergebnisse zu Stürzen mit Folgen
Für viele Laien klingt es wie eine Lappalie: „Nur eine Gehirnerschütterung“. Auch in der Fachwelt ging man lange Zeit davon aus, dass diese Diagnose im Wesentlichen ohne Folgen bleibt. Heute jedoch mehren sich die wissenschaftlichen Studien, die darauf hinweisen, dass mitunter auch schon eine einzige Gehirnerschütterung Auswirkungen auf die Funktionen unseres wichtigsten Organs haben kann.
So wiesen etwa Forscher um die Neuroradiologin Yvonne Lui von der Langone School of Medicine der New York University mithilfe einer speziellen Variante der Magnetresonanztomographie strukturelle Veränderungen sogar bei Patienten nach, die ein Jahr zuvor lediglich eine leichte traumatische Hirnverletzung erlitten hatten. Betroffen waren unter anderem zwei Regionen des Gehirns, die die Stimmung regulieren und an komplexen Denkvorgängen beteiligt sind und die sich atrophisch (schrumpfend) veränderten. Bei Kontrollprobanden schrumpfte das Volumen dieser Regionen im Verlauf eines Jahres nicht. Weiters fand der Marburger Neurologe Dr. Carsten Konrad mit seinem Team heraus, dass 42 Prozent der Teilnehmer an seiner Studie nach einer Gehirnerschütterung sowohl subjektiv als auch im Test bestätigt unter einer verringerten Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung sowie gedrückter Stimmung litten.
Zahlreich, wenn auch häufig mit nur wenigen Studienteilnehmern bestückt, sind auch die sportmedizinischen Untersuchungen: Schon die Kopfbälle eines Fußballers können ausreichen, um die geistigen Fähigkeiten eines Sportlers ein wenig zu mindern, folgert etwa Anne Sereno von der University of Texas nach ihrer Studie, für die sie zwölf Highschool-Fußballerinnen nach Kopfbällen und harmlosen Zusammenstößen testete. Klar ist jedenfalls: Eine Gehirnerschütterung ist keine Lappalie und gehört in ärztliche Hand.





