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Kein Kinderspiel

Vom Säugling bis zum pubertierenden Teenager, dazu ein breit gefächertes Krankheitsspektrum: Der Beruf des Kinderarztes ist fordernd und manchmal auch nervenaufreibend.


Visite bei David: Er hat eine leichte Gehirnerschütterung und darf nach einer Nacht im Spital wieder nach Hause. Diese erfreuliche Nachricht überbringen ihm (v. l.) Prim. Univ.-Prof. Dr. Hans Salzer, Ass. Dr. Elisabeth Davies und Turnusarzt Dr. Thomas Lipecky. FOTO: Felicitas Matern

Gabriel (15 Monate) sitzt am Schoß seiner Mama Irene und beäugt neugierig den Onkel Doktor, der ihn in den Oberschenkel pikst. Ein kleiner Stich, dann ist alles wieder vorbei. Gabriel kommt zu einer Nachkontrolle ins Universitätsklinikum Tulln, wo er und sein älterer Bruder Maximilian (4) zur Welt gekommen sind. Der Onkel Doktor – Prim. Univ.- Prof. Dr. Hans Salzer – klebt noch ein buntes Pflaster mit Häschenmuster auf die Einstichstelle und lobt den tapferen jungen Mann.
Als Kinderarzt ist man auch als Pädagoge gefragt, erklärt Salzer, „man muss wissen, wie man das Vertrauen der jungen Patienten bekommt. Denn hat man das Kind auf seiner Seite, kann man es leichter behandeln als einen kleinen Zornbinkel, der nur herumquengelt.“ Dies sei eine besondere Herausforderung: „Man braucht zum einen das Fachwissen eines Arztes, um die verschiedenen Krankheitsbilder erkennen und behandeln zu können. Gleichzeitig muss man mit Kindern und Eltern behutsam und geduldig umgehen.“ Freundlichkeit, Ruhe und Einfühlungsvermögen sind laut Salzer die Grundvoraussetzungen für diesen Beruf. Und zudem müsse man stressresistent und belastbar sein, denn kränkelnde Kinder und besorgte Eltern zählen sicher zu den anstrengendsten Patienten.
Seit beinahe zwanzig Jahren leitet Salzer die Tullner Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde. Dass er Kinderarzt werden will, wusste er relativ früh: „Die Arbeit mit Kindern macht einfach Spaß, sie sind angenehme Patienten, dankbar und ehrlich. Und man kann viel Erfolg haben: Wenn ein Frühgeborenes durch unsere medizinische Hilfe überlebt, hat es etwa noch 70 Jahre vor sich.“

Neonatologie & Pädiatrie

Salzers Abteilung besteht aus zwei Stationen – der Neonatologie und der Pädiatrie. Die Neonatologie ist ein Spezialfach der Kinderheilkunde für zu früh geborene oder kranke Babys; Neonatologen wie Salzer sind Fachärzte für Pädiatrie mit einer dreijährigen Zusatzausbildung. In Tulln stehen zehn Betten für jährlich rund 200 kleine Patienten bereit. Sie bleiben je nach ihren Bedürfnissen zwischen zwei Tagen und acht Wochen auf der Abteilung, abgeschirmt von anderen Kindern, berichtet der Primarius: „Frühgeborene sind einem extrem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt. Für diese Patientengruppe benötigen wir spezielle Kenntnisse und besondere Geräte.“

Rund zehn Prozent aller Neugeborenen benötigen nach der Geburt eine neonatologische Versorgung. Zarte und gebrechliche Winzlinge, denen das ganze Stationsteam eine Extraportion Fürsorge schenkt. Wie der kleinen Paulina: Sie kam fünf Wochen zu früh zur Welt, gehört mit über zwei Kilo bereits zu den Großen auf der Neonatologie. Mucksmäuschenstill liegt Paulina da, als Salzer sie abhorcht, scheint es richtig zu genießen und zu lächeln. Der erfahrene Kinderarzt ist sehr zufrieden mit der Kleinen: „Sie macht Fortschritte wie im Bilderbuch, kann in einer Woche bereits heimgehen.“ Paulinas Mama ist erleichtert, selbst wenn die Situation für sie nicht neu ist – auch ihre beiden anderen Kinder waren Frühchen, hatten es eilig auf die Welt zu kommen.

Die Neonatologie liegt dem erfahrenen Kinderarzt besonders am Herzen, viel hat sich hier getan in den letzten Jahren: „Ab der 22. Woche – also nach etwas mehr als der halben planmäßigen Schwangerschaftsdauer – haben Kinder heute eine Überlebenschance, bereits ab einem Geburtsgewicht von einem halben Kilo.“ Als Salzer vor 30 Jahren zu arbeiten begann, war eine Geburt in der 30. Schwangerschaftswoche für das Kind eine höchst riskante Angelegenheit. Am liebsten an seinem Job mag er, ein gesundes Neugeborenes unmittelbar nach der Geburt anzuschauen: „Das ist der einzige Moment, in dem alle Menschen gleich sind. Dann geht das eine Baby heim in eine gut bürgerliche Familie, das andere in schlechtere Wohnverhältnisse. Von da an haben sie unterschiedliche Chancen im Leben.“
Das Tullner Team arbeitet eng mit einigen anderen Geburtenstationen im Land zusammen: Täglich kommt ein Kinderarzt aus Tulln in die Landeskliniken Klosterneuburg, Hollabrunn und Korneuburg zur Visite, auch am Wochenende. Und zu allen Kaiserschnitten und Risikogeburten werden die Kinderärzte aus Tulln beigezogen. So werden die Ressourcen optimal gebündelt. „Wir betreuen 2.000 Geburten pro Jahr, allein in Tulln sind es 900“, nennt Salzer eine beeindruckende Zahl.

Von Null bis 18

Vom Moment der Geburt bis zum 18. Lebensjahr – es ist eine breite Lebensspanne, für die Kinderärzte zuständig sind. „Mit einem 17-jährigen Teenie muss man natürlich anders umgehen als mit einem kleinen Kind“, weiß Salzer. Häschenpflaster wären da sicher fehl am Platz.

Das Fach bietet ein breites Spektrum an Themen – von Dermatologie und Infektiologie über Urologie, HNO und Allergologie bis hin zu Neurologie und Onkologie ist alles vertreten. Alle Kinder und Jugendlichen mit akuten und chronischen Krankheitsbildern werden hier behandelt, wie etwa David. Der Achtjährige ist am Vortag am Schulweg gestürzt und hat sich den Kopf gestoßen. Als er sich am Nachmittag erbrochen hat, ist Mama Eva sofort mit ihm ins Spital gefahren.

Diagnose: leichte Gehirnerschütterung. Ein Pflaster auf der Stirn zeugt noch von seinem Unfall, die Brille ist zum Glück heil geblieben. David fühlt sich wohl hier, mit einer Einschränkung: „Die Nadel mag ich nicht“, sagt er. Doch nach einer Nacht im Spital kann er wieder heimgehen, er ist den Venflon also ganz schnell wieder los.

David zählt hier zu den leichteren Fällen. Denn neben Gehirnerschütterung und aufgeschürften Knien bekommt ein Kinderarzt es auch mit kleinen Hirnhaut- und Leukämiepatienten oder gar Schlimmerem zu tun. Trotz solcher Schicksale ein Lächeln, hoffnungsvolle Ausstrahlung und grenzenlose Geduld zu bewahren, ist vielleicht die größte Leistung, die ein Kinderarzt zu vollbringen hat. „Natürlich nehmen einen solche Fälle mit, man stumpft auch mit den Jahren nicht ab“, gesteht Salzer. Er selber könne besser damit umgehen, seit seine eigenen Kinder erwachsen sind: „Früher habe ich immer Parallelen gezogen und gedacht, das könnte meinen Kindern auch passieren.“ Mittlerweile sind sie 27 und 30 Jahre – seine Tochter wird übrigens auch Kinderärztin. Als seine Kinder noch klein waren, hat er sie auch nie selber geimpft: „Denn ich wollte nicht, dass sie Negatives mit mir assoziieren.“ Also hat er einen Kollegen drum gebeten, „den, der besonders gut stechen konnte“.

Volle Ambulanz

Auch in der Ambulanz hat Kinderarzt Salzer mit seinem Team alle Hände voll zu tun – gab es 1996 nur 500 ambulante Fälle, kommt man nun im Schnitt auf jährlich 13.000 Fälle. „Heutzutage sind viele Eltern überbesorgt. Sie waren etwa mit ihrem grippigen Kind beim Kinderarzt, wurden dort völlig korrekt behandelt und kommen am Wochenende in die Ambulanz, weil das Kind immer noch hustet.“ Als Grund ortet er eine größer werdende Ungeduld der Gesellschaft, alles müsse immer schneller gehen: „Früher blieb ein Kind mit Grippe eine Woche daheim, jetzt geht es gleich wieder in die Schule.“ Oft bleibe zum Auskurieren einfach zu wenig Zeit.

Im Uniklinikum Tulln gibt es auch Spezial­ambulanzen für Kinder, beispielsweise zu Diabetes, Entwicklungsneurologie, Lungen- und Herzerkrankungen. Man sehe hier viele Krankheiten, die wenige Kinder haben, zum Beispiel Stoffwechselstörungen. Das hängt laut Salzer mit der besseren Diagnostik zusammen: „Früher konnte man diese Kinder nicht gut diagnostizieren und behandeln – sie sind daher früh verstorben. Hier hat sich in den letzten Jahren enorm viel getan.“ Er wünscht sich einen Ausbau dieser Spezialambulanzen, um das Wissen um seltene Krankheiten zu bündeln.

Wichtige Zusammenarbeit

Das Team der Kinder- und Jugendheilkunde arbeitet auch mit anderen Abteilungen zusammen, wie etwa der Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Gynäkologie. Aus dieser Kooperation hat sich im Lauf der Jahre wegen des Bedarfs ein Schwerpunkt herauskristallisiert: die Betreuung Neugeborener von psychisch kranken Müttern oder Drogenmüttern. Seit 2010 kümmert sich ein interdisziplinäres Team (Kinderschutzgruppe) um diese Frauen – gemeinsam wird geschaut, ob die Mutter in der Lage ist, ihr Baby zu versorgen, das Team versucht, der Mutter zu helfen.
In der Hälfte der Fälle klappt das, in der anderen nicht, bedauert Salzer: „Oft ist es schwierig mitanzusehen, wenn eine Mutter alle Hoffnungen in ihr Baby legt, um endlich ein Leben ohne Drogen zu beginnen und letztlich doch scheitert.“ Viele Male habe er das miterlebt, einfach sei das nie: „Aber es tröstet zu wissen, dass es dem Baby besser geht, wenn es woanders untergebracht ist.“
Der Aufgabenbereich eines Kinderarztes ist vielfältig und manchmal auch nervenaufreibend, wie beim Rundgang durch die Station schnell klar wird: Aus einem Zimmer dringt lautes Geschrei, ein kleiner Patient will sich partout nicht beruhigen lassen. Macht einen das auf Dauer nicht verrückt? „Das hören wir gar nicht mehr“, schmunzelt Salzer. Ein Berufsrisiko der kleinen Art.

Universitätsklinikum Tulln
Alter Ziegelweg 10
3430 Tulln
Tel.: 02272/9004-0
www.tulln.lknoe.at

Ausbildung zur Kinderärztin/zum Kinderarzt

Die Pädiatrie (aus dem Griechischen pädí, das Kind, und iatrós, der Arzt), auf Deutsch Kinderheilkunde, ist die Lehre von der Entwicklung des kindlichen und jugendlichen Organismus, seinen Erkrankungen und ihrer Behandlung. Wer Kinderärztin/Kinderarzt werden will, muss eine lange und profunde medizinische Ausbildung absolvieren. Seit Jänner 2015 ist die Novelle des Ärztegesetzes in Kraft, ab Juni kann die neue Ausbildung begonnen werden, die nun folgendermaßen aufgebaut ist: Nach dem Medizinstudium müssen Ärztinnen und Ärzte eine neunmonatige Basisausbildung im Krankenhaus absolvieren, um das praktische Rüstzeug für die Ausübung des Berufs zu erlernen. Darauf folgt eine 15-monatige Grundausbildung. Danach kommt die Schwerpunktausbildung, die zumindest 27 Monate dauert. Dabei stehen maximal sechs Module zu bestimmten Fachinhalten zur Wahl. Die bisherigen Additivfächer entfallen und werden in die Ausbildung integriert.