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Hören, verstehen, sprechen

Logopädinnen und Logopäden behandeln Menschen, die unter Störungen der Stimme, der Sprache, des Hörens, des Sprechens oder des Schluckens leiden. Ein vielseitiger und fordernder Beruf, der viel Einfühlungs­vermögen erfordert.


Patientin Melanie M. bei Übungen zur Zungenkräftigung

Hochkonzentriert und angestrengt versucht Melanie M. den Spatel mit der Zunge wegzu­drücken, den die Logopädin Margarete Hruby, BSc, ihr dagegenhält. Schaut ungewöhnlich aus, ist aber eine hocheffektive Übung zur Zungenkräftigung. Denn die Patientin leidet an an einer Schluck­störung wegen einer Fehlfunktion der Kau- und Gesichtsmuskulatur. Bleiben diese Beschwerden unbehandelt, läuft Melanie M. Gefahr, dass Nahrung oder Speichel in die Atemwege gelangt. Logopädin Hruby vom Landesklinikum Wiener Neustadt hat ihr einfache, aber effektive Übungen zur Therapie zusammengestellt. Denn als Logopädin ist sie Expertin für alles, was mit Sprache, Sprechen, Stimme, Schlucken, Hören und Verstehen zu tun hat. Ein großes Aufgabengebiet – viel umfassender, als viele wissen.

Diagnostik, Beratung und Therapie

Sprachtherapie mit Kindern – das ist der Arbeitsbereich, den viele Menschen mit Logopäden verknüpfen. „Aber unser Arbeitsfeld ist weit größer“, erklärt Logopädin Hruby. Die Wurzeln des Begriffs Logopädie liegen im Altgriechischen: „logos“ bedeutet Wort, Sprache, und „paideia“ steht für Führung, Begleitung. „Logopäden kümmern sich um die Prävention, Diagnostik, Beratung und
Therapie unterschiedlicher Störungsbilder“,erklärt ihre Kollegin Doris Ostermann, BSc. „Wir beschäftigen uns mit der Atmung, dem Redefluss, mit der Rehabilitation  der Stimme nach Operationen, der Überprüfung des Hörvermögens oder der Verbesserung der Schluckfähigkeit.“
Sie und ihre Kolleginnen kümmern sich um alle Altersgruppen, von Kindern mit Schwierigkeiten bei der Sprachentwicklung bis zur Therapie neurologischer Patienten: Erwachsene machen heute einen großen Teil der Patienten aus, der Bereich Rehabilitation wird ein immer wichtigeres Arbeitsfeld.

Ein guter Start

Der erste Kontakt mit Logopäden erfolgt schon in den ersten Lebenstagen. Auf der Geburtenstation und der Neonatologie führt Doris Ostermann heute einige Hörscreenings durch: Behutsam steckt sie dem zwei Tage alten Noah eine Sonde ins Ohr. Davon unbeeindruckt öffnet er kurz die Augen, gluckst leise – und schon ist die Untersuchung
wieder vorbei. Das Testgerät zeigt an, dass sein
Hörvermögen in Ordnung ist. „Bei Neugeborenen sind diese Untersuchungen heutzutage Standard.
Früher sind Hörschwächen bei Kindern oft jahrelang nicht erkannt worden, erst die verzögerte Sprachentwicklung hat die Eltern hellhörig gemacht“, weist sie auf die Wichtigkeit dieses Screenings hin. Bei auffälligen Ergebnissen werden die Babys mit Hörgeräten versorgt, damit
eine möglichst gute Sprachentwicklung gewährleistet werden kann – „von den jährlich etwa 1.500 untersuchten Babys im Landesklinikum Wiener Neustadt leiden etwa sechs bis sieben an einer Hörstörung.“

Schwierigkeiten beheben

Die nächste große Altersgruppe, um die sich Logopädinnen und Logopäden kümmern, sind Kinder, bei denen nicht das Hören Schwierigkeiten bereitet, sondern das Sprechen: „Kinder haben oft Probleme mit grammatikalischen Strukturen oder der korrekten Aussprache von Lauten – was einen erschwerten Start ins Schulleben und einen zusätzlichen Druck für die Kinder bedeuten kann. Wir sind dafür da, diese Schwierigkeiten zu beheben, bevor sie für das Kind zu einem wirklichen Problem
werden“, erklärt Logopädin Ulrike Blaimauer.

Neu erlernen

In einem anderen Therapieraum übt der Patient Martin S. gemeinsam mit Logopädin Anna Neumann ganz alltägliche Kommunikationssituationen – mit sichtlicher Mühe. Nach einem Schlaganfall
leidet er an einer halbseitigen Gesichts­lähmung und einer Sprachstörung und muss vieles neu lernen. „Hirnschädigungen stören oft die Kommunikationsfähigkeit“, erklärt die erfahrene Logopädin. Hier gelte es, mit allen Kräften zu motivieren: „Wenn einem plötzlich eine wesentliche Fertigkeit versagt, die bis dahin selbstverständlich war, ist das natürlich eine enorme Belastung.“

Alles rund ums Hören ...

Währenddessen kümmert sich Logopädin Christa Hutter um die ambulanten HNO-Patienten, die auf eine audiometrische Untersuchung warten. Pro Tag stehen etwa zehn solcher Audio-Tests am Programm. Patientin Bettina T. ist an der Reihe – Verdacht auf Hörknalltrauma. Seit vor einigen Tagen ein lauter Knall ihr Ohr erschüttert hat, spürt sie einen ständigen Druck. „Wie wenn man Wasser im Ohr hat“, erklärt sie das unangenehme Gefühl. Sie schließt die Lärmschutztür und setzt sich nieder – im Raum ist es mucksmäuschenstill. Logopädin Christa Hutter setzt der Patientin einen Kopfhörer auf, der mit einem Gerät verbunden ist, das die Hörschwelle misst.
Die Untersuchung dauert circa zehn Minuten, die Logopädin kann die Patientin danach gleich beruhigen: „Alles in Ordnung, das Ohr hat keinen Schaden genommen. Der Druck im Ohr wird in ein paar Tagen wieder verschwinden.“ Die Audiologie, also alles rund ums Hören, ist im Landesklinikum ein wesentlicher Aufgabenbereich – gibt es hier doch eine Spezialambulanz dafür.

... und ums Schlucken

Im Nebenraum assistiert inzwischen Logopädin Neumann dem HNO-Oberarzt Dr. Tamás Brajnovits bei einer endoskopischen Untersuchung – die Patientin leidet an einer Stimmbandlähmung. Daher besteht die Gefahr, dass sie sich verschluckt und Nahrung in die Atemwege gelangt, erklärt Anna Neumann: „Diese Untersuchung ist etwas unangenehm für die Patientin. Durch die Nase wird ein Endoskop eingeführt, mit dem der Arzt beim Schluckvorgang beobachten kann, ob Nahrung in die Atemwege übertritt.“ Bei dieser Untersuchung ist immer eine Logopädin anwesend, denn auch alles rund um die Schluckfunktion fällt in ihren Fachbereich.
Die Logopädinnen arbeiten in diesem Gebiet auch wissenschaftlich und führen zurzeit eine
Studie im Bereich Schluckrehabilitation durch.

Teamarbeit gefragt

Die sechs Logopädinnen des Landesklinikums sind auf fast allen Stationen anzutreffen – entweder wie auf der Neurologie und Neurochirurgie als fixer Teil des interdisziplinären Teams oder sie werden mittels Konsiliarzuweisung angefordert. Zugeordnet sind sie der Hals-, Nasen- und Ohren-Abteilung und deren Primarius Univ.-Prof. Dr. Johannes Kornfehl, MBA. Eine gute und fächerübergreifende  Zusammenarbeit liegt ihm besonders am Herzen: „Die Arbeit der Logopädinnen ist mit vielen anderen Bereichen verzahnt, daher ist gute Teamarbeit essentiell.“

Wachsender Bereich

Bis dato ist die Logopädie eine überwiegend weibliche Domäne: „Es gibt Männer in unserem Beruf, aber Frauen sind eindeutig in der Überzahl“, weiß Doris Ostermann. Hängt das vielleicht mit dem veralteten Klischee von der Logopädin als „Sprachtante“ zusammen, die den ganzen Tag mit Kindern Nachsprech-Übungen macht? „Mag sein, das ist jedoch weit gefehlt“, betont sie – Menschen seien oft überrascht, in wie vielen Bereichen man heute auf Logopäden treffe: „Unser Arbeitsfeld ist in den letzten Jahrzehnten enorm gewachsen. Besonders im neurologischen Bereich haben sich neue Einsatzbereiche ergeben.“ Je rascher die Betreuung nach einem Schlaganfall startet, desto leichter finden die Betroffenen wieder zu den notwendigen Fähigkeiten zurück.

Kontakt mit Menschen

Was sind die Voraussetzungen für diesen Beruf? „Für die berufliche Eignung sind die einwandfreie Funktion von Atmung Stimme und Gehör, eine korrekte Zahnstellung und Aussprache sowie gute Sprachkenntnisse Voraussetzung. Und das Wichtigste: Man muss wirklich gerne mit Menschen arbeiten und darf keine Berührungsängste haben“, sagt Logopädin Ulrike Blaimauer.
 Oft arbeite man mit Menschen, die wegen ihrer Erkrankung unter großem psychischen Druck
stehen und resigniert haben.
Daher sind Geduld ebenso wie Einfühlungsvermögen Grundvoraussetzungen für diesen Beruf.

Hohe Anforderungen

Und was ist das Tolle am Beruf? Für Logopädin Ostermann ist es ebendieser Kontakt mit Menschen – und der vielfältige Aufgabenbereich: „Ich finde die hohen Anforderungen fachlicher und
therapeutischer Art sehr interessant, aber auch die vielen abwechslungsreichen Möglichkeiten der Ausübung des Berufes durch das breite Spektrum, in dem wir arbeiten.“
Was man nicht außer Acht lassen darf: „Man muss auch kreativ sein“, ergänzt ihre Kollegin Mag. Eleonora Tinhof, BSc: „denn man muss sich auf jeden Patienten individuell einstellen und ein passendes Therapiekonzept entwerfen.“
Christa Hutter ist bereits seit 30 Jahren als Logopädin tätig und schwärmt nach wie vor von diesem Beruf: „Jeder Tag ist anders, ich arbeite mit vielen verschiedenen Menschen. Hätte ich noch einmal die Wahl, würde ich mich sofort
wieder dafür entscheiden.“

FOTOS:  Felicitas Matern

Ausbildung zur Logopädin/zum Logopäden

Die Ausbildung erfolgt an Fachhochschulen. Das Studium dauert sechs Semester und schließt mit dem akademischen Grad „Bachelor of
Science in Health Studies“ (BSc) ab. Neben medizinischen Grundlagen-, fachmedizinischen und bezugswissenschaftlichen Fächern wie etwa
Linguistik, Psychologie, Integrative und Heilpädagogik setzt sich die Ausbildung schwerpunktmäßig mit den wissenschaftlichen Disziplinen der Logopädie, Phoniatrie und Audiologie auseinander. Parallel zur umfassenden theoretischen Ausbildung absolvieren die Studenten praktische Module in ihren späteren Einsatzbereichen. Absolventinnen und Absolventen dieser Studienrichtung arbeiten angestellt oder freiberuflich im Gesundheitswesen, unter anderem in Krankenhäusern, Ambulatorien, Pflegeheimen, in Bildungseinrichtungen oder in der Wirtschaft. 

In Niederösterreich wird die Ausbildung an der Fachhochschule Wiener Neustadt und der Donau-Universität Krems angeboten.