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Mit Ruhe & Respekt

Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung brauchen angepasste Abläufe im Klinikum. Im Landesklinikum Melk läuft ein Pilotprojekt, das zeigt, wie diese funktionieren können.


Das Kernteam der Melker Medinklusions-Ambulanz: (v. l.) DGKP Johann Mosch, Ass. Dr. Sylvia Roth-Mangel, Ass. Dr. Romana Umgeher und Prim. Dr. Walter Fuchs (nicht am Foto: Ass. Dr. Bernadette Dornigg, Dr. Britta Zainer und DGKS Sandra Wilhelm)

Magen- und Darmspiegelung, Blutabnahme, Ultraschall oder der Krebsabstrich beim Gynäkologen: Einige medizinische Untersuchungen sind unangenehm, müssen aber sein.
Viele kognitiv beeinträchtigte Menschen lassen sich aber nicht ohne Weiteres untersuchen, denn ihre Möglichkeiten, sich auf neue Situationen mit fremden Menschen (Pflegekräfte, Ärzte, Therapeuten) einzustellen, sind eingeschränkt. „Nicht selten reagieren sie mit Angst, Unruhe und Abwehr“, weiß DGKP Johann Mosch. Der diplomierte Krankenpfleger arbeitet seit über dreißig Jahren im Landesklinikum Melk und spricht aus Erfahrung: Sein Sohn Jakob (23) hat eine kognitive Beeinträchtigung. „Müsste ich mit Jakob längere Zeit in einer Ambulanz auf eine Untersuchung warten, würde er sehr laut werden. Auch beim Röntgen würde er nicht still halten. Bei kognitiv beeinträchtigten Menschen sind manche Untersuchungen nur unter einer kurzen Narkose oder einem Dämmerschlaf (Sedoanalgesie) möglich.“

Projekt entwickelt

Gemeinsam mit engagierten Kolleginnen und Kollegen aus Pflege und Medizin, dem Land NÖ, Abteilung Soziales, der NÖ Landeskliniken-Holding und dem NÖ Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS) hat Johann Mosch deshalb ein speziell auf die Bedürfnisse dieser Menschen abgestimmtes Konzept entwickelt. Seit Juli 2014 läuft Medinklusions-Ambulanz (MIA) im Landesklinikum Melk als Pilotprojekt: Betroffene, Angehörige, Sachwalter und Betreuer können sich an die MIA-Ambulanz wenden. Dort werden die anstehenden Untersuchungen exakt organisiert: Welche Beschwerden liegen vor? Braucht der
Patient einen Rollstuhl? Welche Untersuchungen werden gemacht? Welche Fachdisziplinen werden benötigt? Die MIA ist primär für komplexe planbare Leistungen konzipiert, die außerhalb des Klinikums nicht durchführbar sind.
„Wir versuchen, möglichst viele Untersuchungen in einer Art Diagnosestraße zu erledigen“, erklärt Prim. Dr. Walter Fuchs, Leiter der Abteilung Anästhesiologie und Intensivmedizin.
Danach kommt der Patient zum Ausruhen samt Begleitperson auf die Überwachungsstation. Wichtig ist dort ein Patientendatenblatt, das die Angehörigen im Idealfall bereits ausgefüllt zum Ambulanztermin mitbringen, damit man weiß: Wie reagieren die Patienten auf Schmerzen? Was brauchen sie nach der Narkose? „Viele Probleme und Herausforderungen kann man so bereits im Vorfeld lösen oder verringern“, weiß Johann Mosch.

Große Verantwortung

Im MIA-Projekt ist das medizinische und pflegerische Personal stark gefordert und übernimmt viel Verantwortung. „Am wichtigsten ist, gegenseitig Respekt zu haben und Ruhe zu bewahren, denn die Schwächsten in unserer Gesellschaft verdienen einfach die meiste Zuwendung“, weiß Johann Mosch. In speziellen Schulungen erfahren die Mitarbeitenden mehr über verschiedene Krankheitsbilder und wie man mit ihnen umgeht. „Man lernt viel“, berichtet Primarius Fuchs: „Ein Mensch mit Down-Syndrom verhält sich beispielsweise ganz anders als einer mit Tourette-Syndrom.“ Und er ergänzt: „Es ist ein gutes
Gefühl, wenn ein Patient zufrieden heim geht.“ Das gesamte MIA-Team ist stolz auf sein Klinikum, denn das Projekt wird von allen mit­getragen – und hat zu einer zunehmenden Sensibilisierung des Personals geführt. Das MIA-Pilotprojekt läuft erfolgreich und wurde nun um ein Jahr verlängert. Bislang gab es über 50 Patientenkontakte. Eine Delegation der Stadt Wien und des Wiener Krankenanstaltenverbunds hat sich die Abläufe in Melk angeschaut, die Erfahrungen sollen auch an andere Kliniken weitergegeben werden. Ein Projekt, aus dem Bedarf heraus von engagierten Personen entwickelt – das Gesundheitswesen wird davon profitieren.