Zurück ins Leben
Viele Menschen sind blind, obwohl ein kleiner Eingriff helfen könnte. Augenarzt Johannes Funder engagiert sich für sie.
Mit sechs Monaten erkrankt die heute siebenjährige Tigist an Grauem Star. Anfangs fällt ihren Eltern nur auf, dass ihre Augen oft ins Leere blicken und nicht auf Bewegungen reagieren. Es dauert einige Monate, bis ihnen bewusst wird, dass ihre Tochter nicht sehen kann. „Wir haben einen weißen Schleier in ihren Augen bemerkt“, sagt Tigists Mutter Harmena. Bekannt ist dieser weiße Schleier auch unter dem Namen Grauer Star. Die Trübung der Augenlinse tritt meist in Folge des Alterungsprozesses auf oder entwickelt sich, wie im Fall von Tigist, aus einer unbehandelten Augenentzündung oder Verletzung. Dabei wäre Grauer Star einfach heilbar: In einer etwa 15-minütigen Operation wird die getrübte Linse entfernt und durch eine klare Kunstlinse ersetzt. Doch Tigist lebt in der abgelegenen Region Aba Roba, im Südwesten Äthiopiens, hier gibt es keine augenärztliche Versorgung.
Mit großer Liebe und Fürsorge versucht die Mutter der kleinen Tigist das fehlende Augenlicht in den kommenden Jahren auszugleichen. Eines Tages erfahren die Eltern von der Heilung eines blinden Buben aus dem Nachbardorf. Die Mutter beschließt – obwohl das Familieneinkommen nur knapp fürs tägliche Leben reicht – ihr kleines Mädchen um jeden Preis in die Klinik zu bringen. Doch es dauert einige Jahre, bis die Familie genug gespart hat, um dorthin zu fahren. Sie erreichen nach einigen Wochen das weit entfernte Arbaminch Krankenhaus, das von „Licht für die Welt“ unterstützt wird. Die österreichische Fachorganisation unterstützt insgesamt 30 Projekte in Äthiopien, darunter zwölf Augenkliniken, bildet dringend benötigte Augenärzte aus und ermöglicht unzählige Operationen und Behandlungen für blinde und augenkranke Menschen. Auch Tigist erhält durch „Licht für die Welt“ kostenlose Hilfe: Das kleine Mädchen wird endlich am Auge operiert. Am Tag nach der Operation nimmt eine Krankenschwester den Verband von Tigists Augen, wischt ihr das Auge aus und führt sie zum Sehtest. Ein Jubeln geht durch das schlichte Arztzimmer: „Ich kann sehen“, strahlt das Mädchen, „ich kann sehen.“
Bewusstsein schaffen
Prim. Dr. Johannes Funder kennt viele solche Fälle: „Operationen am Grauen Star gehören laut WHO zu den kosteneffizientesten medizinischen Eingriffen weltweit. Aber gerade in ländlichen Gebieten von Entwicklungsländern gibt es ist keine Versorgung, blinde und sehbehinderte Menschen werden nicht behandelt. Sie bleiben blind, obwohl ein kleiner Eingriff helfen könnte.“ Funder hat über 25 Jahre lang die Abteilung für Augenheilkunde am Landesklinikum Horn geleitet, geht heuer im Oktober in Pension. Mit seiner Erfahrung unterstützt er ehrenamtlich seit vielen Jahren die Organisation „Licht für die Welt“, macht auf die Anliegen blinder und sehbehinderter Menschen in Entwicklungsländern aufmerksam, hält Vorträge, versucht Bewusstsein zu schaffen. Im Vorjahr ist er selbst nach Äthiopien gereist, hat sich vor Ort ein Bild gemacht – und war tief beeindruckt: „Die Spenden bewirken irrsinnig viel.“ Die Armut der Leute dort sei unvorstellbar, berichtet er: „Sie leben in einfachen Hütten, manchmal gemeinsam mit Tieren, ohne Trinkwasser, ohne Strom. Nur eine spärlich ausgestattete Gesundheitsstation ohne Arzt dient als medizinische Anlaufstelle.“ Augenärzte, Augenkliniken und die medizinische Versorgung im Land sind ungerecht verteilt. Von ohnehin nur 122 praktizierenden Augenärzten in Äthiopien arbeiten die meisten in der Hauptstadt Addis Abeba. Die Menschen in ländlichen Gebieten haben kaum Zugang zu augenmedizinischer Versorgung. Auf rund drei Millionen Menschen kommt nur ein Augenarzt. Hier setzt „Licht für die Welt“ an, arbeitet mit lokalen Organisationen zusammen, baut Augenkliniken und Gesundheitsstationen auf, bildet Fachkräfte aus, stellt Medikamente zur Verfügung und vieles mehr.
Chancen besser verteilen
Die gesellschaftliche Dimension habe ihn erschüttert, sagt der erfahrene Augenarzt: „Die Menschen dort leben in der Großfamilie. Wenn jemand nicht sehen kann, bedeutet das einen Esser mehr, einen Arbeiter weniger. Das belastet die ganze Familie.“ Bei uns seien die Ansprüche ans Sehen sehr groß, in Äthiopien gehe es schlicht ums Überleben. Die Operationen dürfe man auch nicht mit jenen bei uns vergleichen: „Die Kunststofflinsen haben keine so gute Qualität wie bei uns, es steht auch nicht die modernste Technik zur Verfügung. Teilweise ist nicht einmal Strom da. Einfachste technische Mittel müssen reichen.“
Im nahenden Ruhestand will sich Johannes Funder verstärkt für „Licht für die Welt“ engagieren, kann nun authentischer über den Bedarf an Augenoperationen in den ärmsten Ländern der Welt berichten. „Wir können nicht die großen Fragen der Welt beantworten. Aber jede und jeder von uns kann etwas tun, nämlich spenden. Das bedeutet dort enorm viel. Denn auf die Mächtigen der Welt zu warten, dass die etwas verbessern, ist sinnlos“, sinniert er. Viele seien angesichts des vielen Leids in der Welt demotiviert und negativ eingestellt, bedauert er: „Wir sind nun mal bevorzugt und sollten einen Teil abgeben. Wir können selber etwas dazu beitragen, dass die Chancen besser verteilt werden. Ich habe mich selbst davon überzeugt, dass die Hilfe vor Ort bei denen ankommt, die sie am dringendsten benötigen.“ Wie bei der kleinen Tigist: Sie wird nicht nur sehen können, sondern kann endlich auch die Schule besuchen und später als junge Frau ein selbstständiges Leben führen. Tigist ist zurück im Licht und zurück im Leben.
Licht für die Welt
„Licht für die Welt“ ist eine international tätige österreichische Fachorganisation, die sich in 158 nachhaltig wirksamen Hilfsprojekten in Afrika, Asien, Lateinamerika und Südosteuropa für blinde und anders behinderte Menschen einsetzt. Im Jahr 2015 konnte „Licht für die Welt“ rund 52.000 behinderte Kinder rehabilitativ fördern und knapp 50.000 Operationen am Grauen Star durchführen. Die Hilfe erreichte insgesamt über eine Million Menschen in den Armutsgebieten unserer Erde. Mit einer 30-Euro-Spende wird eine Operation am Grauen Star ermöglicht, damit kann eine blinde Person wieder sehen.
Spendenkonto: Licht für die Welt, IBAN: AT92 2011 1000 0256 6001,
BIC: GIBAATWW
Informationen: www.licht-fuer-die-welt.at, www.facebook.com/lichtfuerdiewelt
Landesklinikum Horn
Spitalgasse 10
3580 Horn
Tel.: 02982/9004-0
www.horn.lknoe.at