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Lern-Probleme

Lernschwierigkeiten sind kein Drama – aber ein Thema, das Eltern ernst nehmen sollten. Denn sie können Kindern das Lernen verleiden – und damit den Start ins Leben schwer machen.


Foto: Fotolia

Vielen Kindern geht in der Schule alles leicht von der Hand. Andere plagen sich von Beginn an: Das Schreiben fällt schwer. Oder das Lesen. Oder das Rechnen. Oder das Stillsitzen und Konzentrieren. Hat das Kind Probleme, kann eine sogenannte Lernstörung vorliegen: eine Schreib- oder Leseschwäche, Legasthenie oder die weniger bekannte Rechenschwäche Dyskalkulie. Das Fatale daran: Kann ein Kind etwa nicht gut lesen, versucht es, das Lesen zu vermeiden. Textaufgaben in Mathematik oder das Erfassen von Lernstoff in anderen Fächern bereiten dem Kind mehr Probleme als anderen Kindern.

Insgesamt dürften pro Klasse etwa ein bis zwei Kinder von einer Lernschwäche betroffen sein. Diese Kinder brauchen maßgeschneiderte Förderung, um die schulischen Anforderungen gut bewältigen zu können und damit die Basis für ein erfolgreiches (Berufs-)Leben zu legen. Werden Lernschwierigkeiten nicht erkannt, plagt sich das Kind über das normale Maß mit der Schule, wird zu Unrecht als wenig intelligent eingestuft und auch im späteren Leben unter seinem Wert geschlagen. Das kann bis hin zu Depressionen führen. Trainings helfen, gehen aber ins Geld – und werden trotz Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO nicht von den Krankenkassen unterstützt. Was man heute weiß, haben Lernschwächen eine starke genetische Komponente, sagt die Klinische- und Gesundheitspsychologin Dr. Evelyn Filipsky, die im NÖ Hilfswerk den Bereich Beratung, Diagnostik und Lerntraining leitet. Und „Lernschwächen haben nichts mit Intelligenz zu tun. Oft finden wir sie sogar bei besonders intelligenten Kindern.“

Lernstörung oder Faulheit?

Woran können Eltern merken, dass ihr Kind eine Lernschwäche hat?

  • Wenn das Kind im Kindergarten- und Vorschulalter Sprachprobleme hat, sollten Eltern hellhörig werden. Das Reimen ist ein guter Gradmesser: Findet das Kind ein Reimwort? (Haus – Maus, Katze – Tatze beispielsweise sind Reim-Paare.) Experten nennen diese Fähigkeit „phonologische Bewusstheit“.
  • Wenn das Kind im Kindergarten- und Vorschulalter sich schwer tut mit dem räumlichen Denken und dem logischen Denken.
  • Wenn ein Kind gar nicht mehr lernen will.
  • Wenn das Kind über psychosomatische Schmerzen klagt – Bauchweh, Kopfweh, Übelkeit.
  • Wenn ein Kind offensichtlich durch die „normalen“ Anforderungen überfordert ist, zum Beispiel viel zu lang für die Hausaufgaben braucht.
  • Wenn das Lesenlernen sehr lange dauert oder das Kind nicht lesen lernen will (Legasthenie).
  • Wenn das Kind lange die Finger zum Rechnen braucht (Dyskalkulie).
  • Wenn die Unterstützung durch die Eltern nicht fruchtet.

Was kann man tun?

Eltern, die sich Sorgen machen, sollten zuerst das Gespräch mit den Lehrkräften suchen. Die Klinische und Gesundheitspsychologin Mag. Martha Enengel vom Fachbereich Lerntraining im NÖ Hilfswerk rät, nicht zu lange zuzuwarten: „Schauen Sie höchstens acht bis zwölf Wochen zu, wenn ein Kind Probleme in der Schule hat. Die Zeit läuft, das Kind gerät sonst immer mehr ins Hintertreffen.“ Schulpsychologen können weiterhelfen, auch das NÖ Hilfswerk bietet Diagnostik, Beratung und Training an – und hat für finanzschwache Familien sogar geförderte Trainings.

Kann man vorbeugen?

Wie kann man betroffene Kinder unterstützen? Und kann man vorbeugen? Man kann:

  • Vorlesen von Anfang an – es fördert die Nähe zum geschriebenen Wort und das Entstehen von Bildern im Kopf und ist eine wunderbare Chance für gemeinsame Zeit.
  • Hörspiele helfen ebenfalls, Bilder im Kopf entstehen zu lassen.
  • Ball spielen fördert die Koordination und das Erfassen von räumlichem Geschehen.
  • Puzzles helfen ebenso, das räumliche Denken zu entwickeln.
  • Im gemeinsamen Alltag kann man das Begreifen der Zahlen schon im Kindergartenalter fördern: „Bring mir drei Löffel“ (Zahlenraum bis 5).
  • Vermeiden Sie so lange wie möglich und begrenzen Sie später die Zeit vor Bild­schirmen, ob Fernsehen, Videos, Tabletts, Computer oder Smartphones – enorm wichtig für die Entwicklung des kindlichen Gehirns!
  • Achten Sie immer auf viel Bewegung im Freien – die braucht jedes Kind.

Seriöse Hilfe

Im Internet findet man viele Angebote für Trainings bei Legasthenie, Dyskalkulie und Lernschwächen, weiß Mag. Barbara Wegscheider, Leiterin des Familien- und Beratungszentrums des NÖ Hilfswerks in St. Pölten: „Seriöse Angebote erkennen Sie beispielsweise daran, dass die Trainer eine Beziehung zum Kind aufbauen und es genau dort abholen, wo es steht.“ Lernstörungen lassen sich nicht wegzaubern – wer das verspricht, arbeite nicht seriös. Das Kind lerne bei den Trainings Strategien, wie es trotz Lernstörung möglichst gut die schulischen Anforderungen bewältigen kann. Wie lange es Unterstützung braucht, sei schwer vorhersehbar. „Aber die meisten Kinder finden irgendwann ihren eigenen Weg und kommen trotzdem gut durch Schule und Ausbildung.“

Mag. Barbara Wegscheider, Leiterin des NÖ Hilfswerks-Familien- und Beratungszentrums St. Pölten, Dr. Evelyn Filipsky,Klinische- und Gesundheitspsychologin, Fachliche Leitung Beratung/Diagnostik/Lerntraining im NÖ Hilfswerk, Mag. Martha Enengel, Klinische- und Gesundheitspsychologin, Koordinatorin im NÖ Hilfswerk – FBZ St. Pölten

Wichtige Links Schulpsychologie:

Lerntrainings bieten etwa die Familien- und Beratungs-Zentren des NÖ Hilfswerks:

  • Amstetten, Tel.: 07472/615 20-32
  • Baden, Tel.: 02252/209111
  • Gänserndorf, Tel.: 02282/60233
  • Korneuburg, Tel.: 02262/90919-20
  • Krems, Tel.: 02732/78690
  • Melk, Tel.: 02752/51233
  • Mödling, Tel.: 02236/46333
  • Schwechat, Tel.: 01/7065444-18
  • St. Pölten, Tel.: 02742/312250-21
  • Tulln, Tel.: 02272/90909
  • Waldviertel, Tel.: 02822/54222-101
  • Wiener Neustadt, Tel.: 02622/26080-20

Lerntipps  

  • Arbeitsplatz: ruhig, aufgeräumt und hell, Ablenkungen vermeiden
  • Planung: fixe Lernzeiten in den Tagesablauf einplanen, Überblick über den Lernstoff verschaffen, gliedern, Textmarker verwenden
  • Lernen mit allen Sinnen: Wörter und Buchstaben klatschen, sprechen, schreiben, modellieren; Rechenhilfen zum Angreifen
  • Pausen: Die Konzentrationsfähigkeit ist altersabhängig. Daher immer wieder Pausen einlegen.
    5–7 Jahre: 15 Minuten
    8–9 Jahre: 20 Minuten
    10–12 Jahre: 25 Minuten
    Über 12 Jahre: 30 Minuten
  • Wiederholen ist wichtig für das Festigen des Lernstoffes.
  • Lerntechniken: Lernplakate zeichnen, Eselsbrücken, Lernkartei verwenden

Ich selbst habe eine leichte Rechtschreibschwäche und bin trotzdem Journalistin. Auch meine drei Kinder hatten mit Legasthenie zu kämpfen – alle haben maturiert. Was ich Eltern raten kann? Lassen Sie Ihr Kind möglichst früh austesten, wenn Sie einen Verdacht haben. Fördern Sie es so früh wie möglich gezielt, falls es eine entsprechende Diagnose hat. Nehmen Sie im Alltag Druck heraus – manchmal ist es besser, wenn ein Kind irgendwann ein Schuljahr wiederholt. Dann klappt es auch leichter mit dem selbstständigen Lernen.
Halten Sie engen Kontakt mit den Lehrkräften, arbeiten Sie eng mit ihnen zusammen. Informieren Sie sich, laden Sie sich die entsprechenden Erlässe zur Beurteilung von Schularbeiten aus dem Internet herunter. Ich habe die Erfahrung, dass die meisten Lehrkräfte froh sind, Bescheid zu wissen und das Kind dann auch entsprechend unterstützen. (Natürlich habe ich auch andere Erfahrungen gemacht.) Bleiben Sie gelassen. Achten Sie auf die nötige Förderung – und dann ist es gut. Vieles wächst sich aus, und Ihr Kind lernt, wie man Schwierigkeiten meistert.
Und vielleicht der wichtigste Tipp: Lassen Sie das Thema Schule – trotz aller Probleme – nicht zum Hauptthema zwischen Ihnen und Ihrem Kind werden. Es geht noch um so viel mehr im gemeinsamen Leben! Jetzt ist die Kindheit und Jugend Ihres Kindes. Woran soll es sich im Rückblick erinnern? Na eben, es gibt Wichtigeres ...

Mag. Riki Ritter-Börner, Chefredakteurin GESUND&LEBEN