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Die Neugierde ausleben

Der Architekt und Maler DI Kurt Thornton (90) findet, der Neugierde nachgehen zu können ist das Tolle am Älterwerden. Das Malen und seine kreative Ader sind ihm seit seiner Jugendzeit eine lebenswichtige Motivation zum Weitermachen.


Wissenschaftlich betrachtet lässt sich das Alter leichter ertragen und erleben, wenn man es positiv annimmt – und zum Beispiel erkennt, dass Wachstum, Entwicklung und Veränderung auch im Alter möglich sind. Dafür gibt es genügend Möglichkeiten, man muss sie nur sehen und danach greifen. Die vielen Möglichkeiten und Überraschungen, die das Leben und besonders das Alter zu bieten haben, hat der Maler und Architekt DI Kurt Thornton erkannt, der nächtelang durchmalt, weil er diesen Oktober zu einer Einzel-Ausstellung in seiner Heimatstadt Leoben eingeladen wurde. „Ich muss an meine Zukunft denken“, sagt Kurt Thornton überzeugt am Beginn seines neunten Lebensjahrzehntes. Seit einem dreiviertel Jahr wohnt er in der Seniorenresidenz in Bad Vöslau, hat seinen Wohnsitz in Baden aufgegeben und sich auf zwei Zimmer reduziert, wobei er das Schlafzimmer in ein Atelier umgewandelt hat, geschlafen wird am Sofa im Wohnzimmer. Für Thornton war immer wichtig, „dass ich meine Selbstachtung behalte, deshalb habe ich in meinem Leben nichts so weit an mich heran gelassen, dass es mein Selbstwertgefühl mindert.“

Mit 90 – auf in ein neues Leben!

Deshalb hat er auch mit 90 Jahren ein neues Leben begonnen, sich von seiner zweiten Frau getrennt und ein neues Domizil aufgebaut. Seine kleine Zweizimmerwohnung schaut eher wie eine Studentenbude aus, das Schlafzimmer ist übervoll mit Bildern, auf einer Staffelei türmen sich Skizzen und Entwürfe, der Tisch ist zugepflastert mit Farben, in einem Eck steht ein verwaister Rollator, degradiert zum Pinselhalter und angekleckst mit Farbe, im Vorzimmer stützt eine Krücke ein Ölbild und im Badezimmer steht neben dem Mundwasser Wundbenzin und Terpentin. Ähnlich auch das Bild im Wohnzimmer: Hier stapeln sich Kunstbücher, Bilder und Aufzeichnungen, das Telefon und sein Handy klingeln ständig.
„Wenn man alt wird, lässt man viel Unnötiges los“, berichtet Thornton. Nur eines lies ihn nie los – die Neugierde: „Neugierig sein, es klingt so primitiv, aber wer nicht mehr neugierig ist, wer nicht mehr dahintersehen will, den interessiert gar nichts mehr.“ Wenn etwas seine Neugierde weckt, und seien es beispielsweise Sudokus, dann schaut er gerne dahinter, forscht und recherchiert unermüdlich, verfasst kleine Bücher darüber, setzt seine Gedanken in Bildern um: „Ich will immer etwas Neues lernen.“ Die Neugierde begleitet ihn schon sein Leben lang, „nur kann ich sie erst jetzt im Alter so richtig ausleben“, und das sei das Tolle am Älterwerden.

„Ich stürme lieber nach vorne“

Als junger Soldat, als er in Norwegen Bäume aus einem Fluss schleppen musste, die für den Bau eines Flugplatzes gebraucht wurden oder in Russland stundenlang durch ein Fernrohr feindliche Gebiete beobachten musste, begann er, die öde Gegend zu zeichnen, damit er sich besser orientieren konnte. In amerikanischer Gefangenschaft in Italien beschaffte er sich Packpapier und Farbe und karikierte seine Kameraden, und „auch meine Vorgesetzten“, sagt er schalkig mit einem Augenzwinkern. Als er vom Krieg heimkam, erzählte er nur die lustigen Sachen, niemals das Schreckliche: „Man gewöhnt sich an alles, ausgehalten habe ich es nur, weil ich wusste, der neben mir erlebt das Gleiche.“
Thornton blickt aber lieber in die Zukunft: „Ich bin einer, der nach vorne stürmt, was kommt, das kommt. Wenn es Probleme zu lösen gab, tat er das alsbald und „dann war es für mich erledigt und draußen aus meinem Kopf. Deshalb bin ich auch nicht nachtragend und denke mir nie, was alles sein könnte.“

Kreativität als Jungbrunnen

Die Kreativität ist in seinem Leben sein größter Segen und sein Jungbrunnen: „Ich wäre über viele Situationen vielleicht nicht hinweggekommen, hätte ich nicht die Malerei gehabt – sie hat mir immer wieder meinen Selbstwert gegeben und geholfen, Dinge zurückzulassen“, gibt Thornton zu. Viele in der Seniorenresidenz bewundern ihn für sein Talent und sagen: „Ja, du kannst wenigstens malen, aber was sollen wir machen?“ Das lässt er nicht gelten, denn neugierig sein kann jeder und „damit meine ich nicht den Klatsch. Mein Lebensmotto war immer, was Gescheites aus meinem Leben zu machen und geistig frisch zu bleiben.“ Wie ihm das gelungen ist? „Ganz einfach: Ich habe mich immer mit den Dingen intensiv beschäftigt, das lenkt einen davon ab, sich selbst zu zerfleischen.“ Wer ständig nur sich im Kopf hat, werde trübsinnig. Und noch einen Tipp hat der malende Architekt: „Ich habe immer versucht,
höflich zu sein, denn wie man in den Wald ruft, so kommt es zurück. Man glaubt ja nicht, wie die
Menschen aufblühen, wenn du sie mal lobst – da kommt so viel Positives wieder zu mir zurück.“
Hat er Angst vor dem Sterben? „Nein, ich hätte im Krieg schon so oft sterben können. Ich dachte mir immer ‚Gott soll abhüten‘, habe mir immer ein Grundvertrauen behalten und ließ mir nie den Lebensnerv ziehen. Im Leben muss man sich was trauen, was soll schon passieren …“

In dem Zimmer, das eigentlich als Schlafzimmer gedacht war, regieren Pinsel und Farbe statt Pölster und Decken: Der Architekt Kurt Thornton malt oft nächtelang durch und schläft in seinem Wohnzimmer auf einer ausziehbaren Couch.

Steckbrief

Name: DI Kurt Thornton
1922 geboren in Judenburg
1940 Matura in Knittelfeld
bis 1946 Kriegsdienst und Gefangenschaft
1946 Beginn Architektur­studium in Graz
1970–1984 Stadtbaudirektor in Leoben
1986 beginnt er mit dem Malen, absolviert zahlreiche Kurse und gibt in Folge auch selbst Kurse.
seit 1985 rege Ausstellungstätigkeit

Foto: Sandra Sagmeister-Pensch