Deutsch für Anfänger
Zahlreiche Flüchtlingskinder kommen jeden Tag nach Österreich. Auch für sie gilt die Schulpflicht. Doch wie kann ein Kind ein Schuljahr positiv abschließen, wenn es unsere Sprache nicht spricht? Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer schenken ihnen ihre Zeit.
Erwartungsvolle kleine Augenpaare blicken Stefanie Putzgruber an, die eine Gitarre aus einer schwarzen Tasche holt und sie auf ihrem Knie ablegt. Sanft streicht sie mit ihren Fingern über die Saiten und als die ersten Akkorde erklingen, fangen die kurzen Beinchen der Kinder, die im Kreis um sie sitzen, an, hin und her zu schwingen. Sie strecken ihre Rücken durch und fixieren die Sozialpädagogin; hochkonzentriert und bereit für ihren Einsatz. Putzgruber hebt die Augenbrauen und nickt mit dem Kopf. Die Kinder verstehen das Signal und fangen an zu singen. „Ist das ein schöner Tag“, erklingt es aus dem Klassenraum der 4a. Der Gesang erfüllt die bunt bemalten Gänge der Jakob-Prandtauer-Volksschule in Melk. 37 Kinder aus zehn Nationen sind heute Nachmittag hier. Jeden Dienstag und Donnerstag verbringen sie zweieinhalb Stunden mit den Lerntrainerinnen des NÖ Hilfswerks und ehrenamtlichen Helfern, die ihnen bei den Hausaufgaben helfen und ihre Deutschkenntnisse verbessern. Unter ihnen auch das syrische Zwillingspaar Diyar und Maya. Beide zehn Jahre alt und seit etwa vier Monaten in Österreich. Sie bemühen sich, den Text fehlerfrei mitzusingen und haben dabei stets die anderen Kinder im Blick, die schon länger hier sind. „Wenn ich dich seh, dann freu ich mich und lach dir zu, grad weil ich dich so sehr mag.“ Was Diyar und Maya da genau singen, wissen sie nicht, doch ihre strahlenden Gesichter verraten, dass es ihnen Spaß macht.
Wissen & Werte
„Die Kinder haben Freude am Lernen, weil sie bei uns viel gelobt werden und wir sie mit Spielen, Tänzen und Liedern motivieren“, erklärt Andrea Wolf, Leiterin des Hilfswerk Familien- und Beratungszentrums Melk. Seit fünf Jahren gibt es diese interkulturellen Lerngruppen. Fünf Lerntrainerinnen des Hilfswerks und insgesamt 24 ehrenamtliche Helfer bieten Nachmittagsbetreuung für Kinder mit Migrationshintergrund an. In den letzten Jahren sind viele Flüchtlinge aus dem Nahen Osten dazugekommen. „Wenn die Eltern nicht gut Deutsch können, dann fällt es ihnen meistens sehr schwer, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen oder mit ihnen zu lernen“, erklärt Wolf, „deshalb freuen sich die Kinder, dass wir zwei Mal pro Woche die Hausübungen mit ihnen machen. Denn alleine bewältigen sie sie nicht.“ Im Vordergrund der Arbeit des Hilfswerks steht, dass die Kinder den Wechsel in die nächste Schulstufe schaffen. Auch soziale Regeln und Werte werden ihnen hier vermittelt. Es gibt gemeinsame Weihnachtsfeste, aber auch Treffen, in denen die Eltern der Kinder Speisen aus ihrem jeweiligen Land mitbringen und sie so die unterschiedlichen Kulturen besser kennenlernen können. „So tragen wir schon früh zur Integration bei“, erklärt Wolf.
Hilfe wichtig
Nach dem Singen verteilen sich die Kinder auf vier Klassenräume und beginnen mit ihren Hausaufgaben. Ein Lerntrainer oder ehrenamtlicher Helfer kümmert sich dabei um ein bis drei Schüler. Eine spezielle Ausbildung braucht man dafür nicht, erklärt Andrea Wolf: „Die Liebe zu den Kindern ist die einzige Voraussetzung, denn den Volksschulstoff hat ja eigentlich jeder Erwachsene intus. Wir sind über jede Hilfe dankbar.“
Dennoch sind die meisten Ehrenamtlichen pensionierte Lehrer oder Studenten. Helferin Roswitha Chromy war bis 2012 sogar Lehrerin an der Volksschule, in der sie auch heute mit den Kindern lernt. „Ich habe das Projekt während meiner aktiven Zeit schon sehr gut gefunden, weil die Leistungen der Kinder wirklich besser geworden sind. In der Pension habe ich mir gedacht: Das ist es. Das mache ich jetzt auch.“
Einer ihrer Schüler, der aus Tschetschenien stammt und kein Wort Deutsch konnte, als er in ihre Klasse kam, ist nun nach vier Jahren Unterricht im Gymnasium und hat gute Noten. Heute sitzt Chromy mit Diyar und Maya zusammen, die ihr sagen sollen, welche Gegenstände auf Fotos zu sehen sind, die auf dem Tisch vor ihnen liegen. „Bei Kindern kann man wirklich noch etwas bewegen und sie auch leichter in die Gesellschaft integrieren“, ist sie überzeugt. Wichtig sei, dass man sie für die Sprache und das Lernen begeistert. „Die Kinder kommen gern hierher“, sagt Chromy. „Ich gehe ja auch gern hierher.“
Freiwillig & kostenlos
Die Kinder sind interessiert und freuen sich über die Aufmerksamkeit, die ihnen die Erwachsenen schenken. Lob und die Freude am Lernen stehen stets im Vordergrund. Hier können sie gemeinsam mit den anderen Kindern lachen und sich über Erfahrungen austauschen. Einige der Kinder haben traumatische Dinge erlebt: Der neunjährige Malek aus Syrien ist in einem kleinen Boot über das Mittelmeer nach Europa gekommen. Wenn er groß ist, möchte er Flugzeugpilot werden, sagt er, um nie mehr über das Wasser fahren zu müssen. So werden die Lernbetreuer auch zu Vertrauenspersonen, die öfter umarmt werden und bei denen sich die Kinder freuen, wenn sie sie zufällig auf der Straße treffen.
Die Teilnahme an den interkulturellen Lerngruppen ist freiwillig und für die Eltern kostenlos. Am Beginn des Schuljahres werden sie auf das Angebot aufmerksam gemacht und fast alle nehmen es auch dankbar an. 40 solcher Kurse des NÖ Hilfswerks laufen derzeit in ganz Niederösterreich. Diese werden vom Außenministerium gefördert. „Es können aber bei weitem nicht alle Kurse so finanziert werden. Wir sind größtenteils auf Spenden aus der Bevölkerung und auf Sponsoren angewiesen“, so Andrea Wolf. „Unser Angebot gilt natürlich auch für österreichische Familien, die auf Hilfe angewiesen sind.“
Elternarbeit
Ein großer Teil der Tätigkeit in den interkulturellen Lerngruppen ist auch die Arbeit mit den Eltern. „In einer Klasse musste beispielsweise jeder Schüler ein Holzbrett zum Basteln mitnehmen“ erklärt Andrea Wolf. „Wenn die Eltern nicht wissen, was ein Holzbrett ist, können sie es auch nicht besorgen. Für die Kinder ist es natürlich unangenehm. Wir haben uns mit den Eltern zusammengesetzt und ihnen gezeigt, was wir meinen und das Problem so gelöst.“
Auch Konflikte zwischen den unterschiedlichen Nationen und Kulturen versucht man in den Lerngruppen schnell zu entschärfen, erklärt der pensionierte Gymnasiallehrer Mag. Franz Pöcksteiner: „Die Kinder übernehmen das, was sie von den Eltern zu Hause hören und bringen das dann mit in die Klasse. Da muss man schnell handeln und schauen, dass sie sich wieder
vertragen.“
Der ehrenamtliche Helfer ist seit seinem Pensionsantritt vor zweieinhalb Jahren mit dabei. Nebenbei arbeitet er auch noch in einem Hospiz. Er betrachtet Integration als wechselseitiges Geschehen: „Wenn wir wollen, dass sich die Flüchtlinge hier integrieren, dann müssen wir auch einen Schritt auf sie zugehen und ihnen dabei helfen. Und die Lernhilfe ist mein Schritt.“ Als Religionslehrer hat er bereits Sozialprojekte im Kosovo oder in Rumänien organisiert. Dadurch hat er viele neue Freunde gefunden, sagt er: „Ich freue mich, wenn ich jemandem meine Zeit schenken kann und die Kinder durch mich dann einmal einen Beruf finden können. Man kann ja bei so einer wohltätigen Arbeit gar nichts verlieren. Man gewinnt fürs eigene Leben.“
Ehrenamtliche Helfer werden in ganz Niederösterreich gesucht.
Informationen:
Tel.: 02742/249,
www.hilfswerk.at/niederoesterreich
Spenden für solche und ähnliche Projekte:
Hilfswerk-Konto,
Hypobank, IBAN AT79 5300 0011 5500 6133,
Verwendungszweck: Flüchtlingshilfe