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Auf der letzten Wegstrecke

Mit dem Tod sind wir alle immer wieder konfrontiert. Doch wissen wir auch, was Menschen auf ihrem letzten Weg wünschen und brauchen und wie sie es bekommen können?


fotos: Fotolia/Photographee.eu

Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt, und er ist allgegenwärtig: Wir lesen tagtäglich von ihm in der Zeitung, wir hören von ihm in allen Nachrichten, und wir erleben ihn selbst immer wieder, wenn jemand aus unserem nahen Umkreis stirbt. Trotzdem leben wir in einer Gesellschaft, die das Leben feiert und in der der Tod noch immer ein verdrängtes Thema ist. Es ist noch nicht so lange her, dass man Sterbende in Krankenhäusern in die Badezimmer abschob, um den anderen deren Anblick zu „ersparen“. Erst in den 1960er Jahren entstand, ausgehend von England, die moderne Hospizbewegung, deren Ziel es ist, die Situation Sterbender und ihrer Angehörigen zu verbessern und das Thema Sterben und Tod ins Leben zu integrieren.

Die kleinen Dinge des Lebens

In Niederösterreich entstanden vor nunmehr genau zwanzig Jahren aus einer Bürgerbewegung heraus die ersten ehrenamtlichen Hospizdienste, wenig später die ersten stationären Hospize, in denen Sterbende nach den Grundsätzen der modernen Palliativmedizin (siehe Kasten links unten) betreut werden. Heute gibt es im ganzen Bundesland (Nieder-österreich ist immer noch Vorreiter) ein flächendeckendes, wenn auch noch nicht ganz bedarfsdeckendes Angebot an stationären Hospizen, Palliativ­stationen und Palliativkonsiliardiensten, sich professionell um Sterbende und deren Angehörige zu kümmern und ihnen auch ein Stück „Normalität“ in ihrer außergewöhnlichen Situation zurückzugeben. „In der Tat sind es oft nicht die großen Dinge, die Menschen in dieser Situation brauchen, sondern die ganz kleinen, alltäglichen wie etwa das Dasein, das Zuhören, das Mitgehen auf diesem letzten Weg“, sagt Sonja Thalinger, die Geschäftsführerin des Landes­verbandes Hospiz Niederösterreich.
Es geht also darum, sich nicht abzuwenden, sondern die Stärke aufzubringen, anwesend zu bleiben und das zu begleiten, was auch immer den Sterbenden bewegt – um ihm oder ihr ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität zu bieten und ein Stück Lebensqualität in eine besonders schwierige Lebenssituation hereinzuholen. Dazu gehört unter anderem auch, dass die begleitenden Menschen Kontinuität vermitteln, also möglichst regelmäßig da sind und dass ihr Angebot an den Sterbenden verlässlich steht.
Profis, die das tun, also Ärzte, Pflegepersonal, Therapeuten in Hospizen sind dafür speziell in Palliative Care ausgebildet. „Sie nehmen den kranken Menschen in seiner Gesamtheit an und versuchen, ihn von seinen körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Schmerzen zu befreien oder diese Schmerzen zumindest mit allen verfügbaren Mitteln zu lindern“, sagt Sonja Thalinger. Dabei geht es nicht nur um den Kampf gegen den körperlichen Schmerz, sondern eben um die Gesamtheit des Schmerzes. Denn Schmerz ist es, den die Menschen in dieser Situation vor allem fürchten – Schmerz und das Auftreten von unkontrollierbaren Symptomen einerseits, Schmerz der existenziellen Angst andererseits.
Die Frage „Wie wird es sein, das Sterben?“ kreist nun im Kopf. Jetzt gilt es für Außen­stehende wieder, sich nicht abzuwenden, sondern da zu sein. „Es geht darum, auch diese allerletzten Dinge des Lebens sehr offen anzusprechen, immer auf alle Fragen der Sterbenden einzugehen, sie auch zu ermutigen, ihre Fragen zu stellen“, erklärt Sonja Thalinger. „Und wir müssen immer wieder Angebote machen, erklären, was wir in bestimmten Situationen tun können und werden. Dabei geht es auch darum, die Dinge möglichst konkret beim Namen zu nennen und natürlich auch ganz konkrete Hilfestellungen zu geben.“

Erleichterung bei Schmerzen

Die Medizin ist heute dazu in der Lage, fast alle körperlichen Schmerzen gut kontrollieren zu können, und Palliative Care bedeutet Erleichterung in belastenden Situationen. Sie integriert zudem psychologische, soziale und spirituelle Aspekte in die Fürsorge und bietet ein Unterstützungssystem an, das dem Patienten hilft, bis zu seinem Tod so aktiv wie möglich zu leben. Das heißt für viele auch, dass sie sich ihren Wunsch, zu Hause zu sterben, erfüllen können, denn mobile Palliativteams können dort beratend und anleitend tätig sein. „Diese Teams sind multiprofessionell zusammengesetzt und wenden sich in erster Linie an die Betreuenden zu Hause und im Heim. Sie bieten ihre Erfahrung in Schmerztherapie, Symptomkontrolle, Palliativpflege und psychosozialer Begleitung an. Die Beratung  durch das Palliativteam kann natürlich auch vom Patienten selbst angefordert werden“, erläutert Sonja Thalinger.
Und Palliative Care bietet auch ein Unter­stützungssystem an, das der Familie und dem sozialen Umfeld bei der Bewältigung der Erkrankung hilft und sie in ihrer Trauer stützt, denn Angehörige von Sterbenden sind naturgemäß extrem belastet. „Wir dürfen und wollen diese Menschen nicht allein lassen, und es gibt für sie tatsächlich sehr viele Angebote, vor allem zum Gespräch. Auch sie brauchen Zuspruch und eine Würdigung und Anerkennung ihrer Leistung, die oft unglaublich groß ist“, weiß Sonja Thalinger. Sie verweist darauf, dass diese Gesprächs- und Entlastungsangebote auch über den Tod des Angehörigen hinaus bestehen.

Unterstützung annehmen

Denn eines dürfen wir nicht: In der Trauer und Sorge um den sterbenden Angehörigen oder Freund auf uns selbst vergessen. Für begleitende Angehörige geht es darum, Unterstützungs- und Entlastungsangebote anzunehmen, genauso wie es auch die Profis tun, die Tag für Tag mit dem Tod von Menschen zu tun haben: „Ganz essenziell sind auch für die professionellen Helfer regelmäßige Supervisionen, in denen über schwierige Begleitungen gesprochen und immer weiter gelernt werden kann. Und ganz wichtig ist zudem der Teamzusammenhalt, der Austausch und die Vernetzung zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, die in die Betreuung involviert sind. Das gibt Stabilität, und so kann man Kraft schöpfen, um in die nächste Begleitung zu gehen.“  
Angesichts des Todes brauchen wir also einerseits den Mut, dorthin zu schauen, wo man nicht gerne hinschaut, wir brauchen die Kraft, etwas auszuhalten, was man nicht gerne aushält, wir brauchen die Fähigkeit, eine Situation zuzu­lassen, in der wir selbst keine Kontrolle und keine schnellen Antworten haben. Aber wir brauchen auch den Mut uns einzugestehen, wo unsere Grenzen sind, und wir sollten versuchen, da, wo es möglich ist, diese Grenzen auch zu wahren.

Was ist Palliative Care?   

  • betont das Leben und betrachtet das Sterben als einen zum Leben gehörigen Prozess. Der Tod wird weder beschleunigt noch hinausgezögert.
  • bietet Erleichterung bei Schmerzen und anderen belastenden Krankheitszeichen.
  • integriert psychologische und spirituelle Aspekte in die Fürsorge.
  • bietet ein Unterstützungssystem an, das dem Patienten hilft, bis zu seinem Tod so aktiv wie möglich zu leben.
  • bietet ein Unterstützungssystem an, das der Familie bei der Bewältigung der Erkrankung hilft und in ihrer Trauer stützt.

Aus der WHO Definition von Palliative Care 1990

Palliativ-Versorgung in NÖ   

Als vor über 20 Jahren die Hospiz-Bewegung von England auch in Österreich ankam, wurde sie zu Beginn erst langsam, teilweise mit großer Skepsis und oft auch verbunden mit Vorurteilen und Ängsten wahrgenommen. Damals entwickelte sich auch in Niederösterreich eine Palliativ- und Hospizbewegung mit zu Beginn vor allem vielen Ehrenamtlichen, und ihr Motor war die damalige Sozial-Landesrätin und Landeshauptmann-Stellvertreterin Liese Prokop. Das erste Team entstand vor 20 Jahren. 1998 gab es das erste stationäre Hospiz in Niederösterreich im Landespflegeheim Melk, 2012 entstand bereits das siebente im Pflegeheim Mödling. Einen besonderen Schub bekam die Hospiz- und Palliativbewegung in den Jahren 2005/06, als die flächendeckende Versorgung Ziel eines Reformpoolprojektes des NÖ Gesundheits- und Sozialfonds (NÖGUS) wurde. Palliativstationen gibt es in den NÖ Kliniken Hochegg, Krems, Lilienfeld, Mistelbach-Gänserndorf, Scheibbs und Waidhofen/Thaya. In fast allen anderen Standorten gibt es Konsiliardienste (spezialisiertes Personal besucht das Klinikum) und/oder die Zusammenarbeit mit mobilen Diensten. Mittlerweile bietet Niederösterreich eine nahezu flächendeckende Versorgung.

Informationen:
Hospiz Landesverband NÖ
www.hospiz-noe.at

Sein letzter Weg

Er ist gegangen. Von uns, wie man so sagt, aber vielmehr noch
von mir, die ich ihn begleiten durfte auf seinem letzten Weg. Sechs Monate hat er gedauert, der Weg, von der Diagnose bis zum letzten Lebensblick, da er die Augen nicht mehr öffnete, nur noch rasselndes Atmen war, und da wir bei ihm waren, die Hospiz­betreuerin, die 24-Stunden-Pflegerin aus der Slowakei und ich, seine Gefährtin, aufgereiht rund um sein Bett, das er die letzten Monate kein einziges Mal mehr verlassen konnte, wund gelegen zum Schluss, sprachlos vor allem, er, der große Dichter, der er bis zum Ende war, auch wenn er nicht mehr sprach, denn die Krankheit hat ihm auch die Sprache genommen.

Die Sprache ...
Die Sprache war ihm immer das Höchste gewesen, und er hatte es verstanden, sich in Wort und Schrift auszudrücken wie kein anderer. Hatte mit Wörtern, Sätzen, Halbsätzen, Nebensätzen im wahrsten Sinn des Worts gespielt, hatte sich die Sprache zum Ureigensten gemacht, zu seinem Instrument, dem die vielfältigsten Töne zu entlocken er wie niemand anderer imstande gewesen war.

... genommen
Aber die Krankheit, die in ihm tobte und wütete, hatte ihm sein liebstes Instrument ganz einfach genommen. Oder wollte er angesichts dessen, was das Leben ihm jetzt angetan hatte, das Sprechen verweigern? Ich weiß es nicht, niemand weiß es, und er hat nichts mehr gesagt. Kaum mehr etwas, seit die Ärzte ihm zu verstehen gegeben hatten, dass es nun zu Ende ging, nun, mit dreiundsechzig Jahren, da er noch so viel vorgehabt hatte zu schreiben, zu leben, zu lieben, später dann kein Wort mehr.

Ein letzter Geburtstag
Und es ist schnell gegangen. Bald hatten die Metastasen seine Knochen erfasst, er hatte nicht mehr gehen können, und der Rollstuhl war sein Schicksal geworden, kein Ausgehen mehr, kein Spaziergang, kein Ausflug in eines seiner geliebten Kaffeehäuser mehr, kein noch so kleinster Einkauf im Delikatessengeschäft. Einmal haben wir es doch versucht, zu seinem Geburtstag im Mai, irgendwie gelang es uns, ihn in dem Rollstuhl in den Lift und in das Auto zu bugsieren, und dann das Stammrestaurant. Die vorbestellten Kärntner Kasnudeln, die er immer so geliebt hatte, hat er kaum angerührt, den Blick immer nervös auf das Auto gerichtet, in Gedanken wohl schon bei der ihn zutiefst erschöpfenden Heimfahrt, sein letzter Geburtstag.

Zwei Engel
Dann die 24-Stunden-Pflegerinnen, zwei Engel, die der Himmel geschickt hatte, zum Glück, und die für ihn kochten, wuschen, bügelten, einkauften, ihn ganz und gar pflegten, da er den Rollstuhl mit dem Bett vertauschen musste, nur mehr liegen konnte. Da waren sie auch da, die Engel, die ihn fütterten, ihm die Medikamente einflößten, ihn wuschen von Kopf bis Fuß jeden Tag und alles für ihn taten, was die Hospizbetreuerinnen, die dreimal die Woche kamen, empfahlen.

An seinem Bett
Und ich saß an seinem Bett, Tag für Tag, sah mit an, wie er verfiel, wie er das Haar büschelweise verlor, wie ihn seine Körperbeherrschung verließ, wie er abmagerte, wie sein Blick immer mehr erlosch … saß ich an seinem Bett, sechs Monate lang, hielt seine Hand, wenn er es zuließ, freute mich über seine Freude, mich zu sehen, anfangs, als er das noch vermittelte, später war ich zufrieden, wenn er wenigstens aus meiner Hand aß oder trank, was er den Pflegerinnen schon verweigerte.

Der Tag, an dem er ging
Dann der Tag, an dem er ging, ein schöner, kalter Wintertag, sonnig mit wunderschönen Wolkengebilden, diesen Tag hatte er sich ausgesucht, und draußen fegte der Wind um die Häuserecken, da er in seinem Bett lag, mit ausgemergeltem Körper, die Augen tief in den Höhlen, und nur mehr dieses rasselnde Atmen, und dann der Tod, und ich war glücklich, seinen Kopf in Händen halten zu dürfen, als er ging, wortlos, er der große Mann des Worts.

Mag. Gabriele Vasak ist Schriftstellerin, freie Journalistin und langjährige Redakteurin für GESUND&LEBEN.