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„Es gibt nichts, was nicht geht“

Sabine Weber-Treiber ist derzeit die erfolgreichste Schwimmerin im österreichischen Behindertensport und tritt im September bei den Paralympics in Brasilien an. Der Sinn des Lebens? Jeden Moment genießen.


Foto: Kees-Jan van Overbeeke

Es ist ein Vollzeitjob – 25 bis 40 Stunden pro Woche trainiert Profi-Schwimmerin Mag. (FH) Sabine Weber-Treiber im Becken oder in der Kraftkammer. Und das neben einem Teilzeitjob als Bankangestellte und Mutter von zwei kleinen Kindern. Vor allem die letzten zwei Monate vor den Paralympics in Rio de Janeiro im September waren sehr trainingsintensiv, weshalb sie sich von der Arbeit freistellen ließ, um sich ganz auf die Vorbereitungen zu konzentrieren. Mit jeder Faser ihres Körpers strahlt die 37-Jährige pure Lebensfreude aus – trotz zweier tragischer Wendungen in ihrem Leben: Seit sieben Jahren sitzt Weber-Treiber mit einer inkompletten Querschnittslähmung im Rollstuhl. Mit ihrer Leidenschaft für den Sport hat sie ihren Weg gefunden, „wieder mit beiden Beinen im Leben zu stehen“.

Schicksalsjahre

Mit 20 Jahren wird die Mödlingerin mit ihrem Auto bei einer roten Ampel von einem Führerschein­neuling, ein 18-jähriges Mädchen mit 1,8 Promille im Blut, von hinten in den Querverkehr geschoben. „Wenn ich aufzähle, was alles nicht gebrochen war, bin ich schneller fertig“, erzählt Weber-Treiber. Nach langer Rehabilitation lernt sie wieder gehen, beendet ihr Studium und fasst im Berufsleben Fuß. Es bleiben jedoch Wirbelverletzungen, die ihr Leben zehn Jahre später noch einmal komplett auf den Kopf stellen sollen: 2009, bereits verheiratet und Mutter eines zweijährigen Sohns, erkrankt Weber-Treiber an einer seltenen Virusinfektion – dem Guillain-Barré-Syndrom. „Durch den schweren Autounfall hatte ich offene Stellen im Rückenmark. Hier dürfte der Virus Eingang in den Wirbelkanal gefunden haben.“ Die Folge: Ein Blutgerinnsel bildet sich und führt zu einer inkompletten Querschnittslähmung. „Ich werde oft gefragt, ob ich dem Mädchen böse bin, denn wäre der Autounfall nicht gewesen, wäre das Syndrom vielleicht komplett genesen. Ich sage dann immer nein, böse ist der falsche Ausdruck. Denn ich hätte vieles nicht so erlebt, wenn das nicht gewesen wäre. Und für sie – mit dem Wissen, jemanden so schwer verletzt zu haben sowie den hohen Regressforderungen – ist es sicher auch nicht leicht.“

Kämpfernatur

Nach einiger Zeit mit dem Guillain-Barré-Syndrom im Koma wacht Weber-Treiber auf und verbringt insgesamt viereinhalb Monate im Krankenhaus. Anfangs ist ihr Zustand kritisch. Es gibt sogar die Situation, wo man die Familie anruft und sagt, sie sollen sich verabschieden kommen. Doch Weber-Treiber kämpft sich wieder ins Leben – es ist allerdings klar, dass sie nie mehr richtig gehen wird. Anschließend wird sie in das AUVA-Rehabilitationszentrum „Weißer Hof“ in Klosterneuburg verlegt und lernt in den nächsten knapp sieben Monaten den Umgang mit dem Rollstuhl und wie er sie im Alltag unterstützt. „Ich war dort wie in einer Blase. Du hast mit so vielen anderen Dingen zu tun, dass du gar nicht wahrnimmst, was noch alles auf dich zukommen wird mit dieser Diagnose. Dein Umfeld kämpft viel mehr damit“, meint Weber-Treiber. „Trotzdem habe ich in dieser Zeit jegliche Unterstützung aus meinem Umfeld bekommen, die es braucht, um gestärkt in den Alltag zurückzukommen.“ Ihr Chef etwa, der sie immer wieder aus dem Reha-Zentrum abgeholt hat, um sie auf Firmenevents mitzunehmen. Auch heute – mittlerweile für den Profisport – hat Weber-Treiber flexible Zeiteinteilung. Und es stand nie zur Debatte, dass sie nicht wieder in ihren Beruf einsteigen kann.

Sport-Leidenschaft

Schon früh während der Reha äußert die immer schon begeisterte Sportlerin den Wunsch: „Wenn ich nicht mehr gehen kann, dann werde ich eben bei den Paralympics an den Start gehen.“ In dem Reha-Zentrum probiert sie sich daher durch alle möglichen Sportarten und entscheidet sich fürs Schwimmen. Bereits ein Jahr später sichert sich Weber-Treiber ihre ersten zwei (von vielen) Staatsmeistertiteln. Und: Bereits drei Jahre nach Tag X nimmt sie 2012 bei den Paralympics in London teil – im dritten Monat schwanger. „Mit Luisa hatte niemand mehr gerechnet, am wenigsten mein Mann und ich“, lacht die heutige Zweifachmama. „Meine Kinder sind für mich mein Motor, immer weiterzumachen. Sie zeigen mir mit ihrer unfassbaren Freude über Kleinigkeiten, dass weniger oft mehr ist. In jedem Moment steckt etwas Besonderes – und dieses Besondere gilt es für jeden selbst zu
entdecken sowie jeden Moment zu genießen.“
Diese Kraft, die sie aus ihrer Familie und ihrem Sport schöpft, spürt man: „Ich verwende auch nicht das Wort Schicksal. Ich glaube, dass jeder Mensch eine Bestimmung hat. Und meine Bestimmung ist es, einfach anders durchs Leben zu gehen. Hätte ich mein Ablaufdatum schon gehabt, wäre ich heute nicht mehr da – und ich glaube“, ergänzt sie schmunzelnd, „ich habe mein Ablaufdatum noch länger nicht.“

Zukunftspläne

Gibt es bereits Pläne für die Zeit nach Rio? Nach einem Monat Zeit mit der Familie möchte die 37-Jährige wieder mit mehr Stunden pro Woche an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Allerdings will sie auch weiterhin Zeit für soziale Projekte haben: „Neben den Schwimmstunden mit der Klasse meines Sohnes gehe ich mit behinderten Kindern schwimmen. In Mödling gehe ich außerdem mit der Sonderschule turnen. Das ist etwas, was ich gerne noch ein bisschen ausbauen möchte und wo es sehr viel Bedarf gibt.“ Ein weiteres großes Ziel hat die ehemals leidenschaftliche Schifahrerin
für den Winter: Gemeinsam mit ihrem Trainer Thomas Rosenberger, der seit 25 Jahren im Rollstuhl sitzt, hat sie sich bereits für einen Monoschi-Kurs im Jänner angemeldet. Sie mache ohnehin auch jetzt mit dem Rollstuhl noch genug verrückte Sachen, etwa Hochschaubahn-Fahren oder Wandern am Schneeberg. „Es gibt eigentlich nichts, was nicht geht – man muss nur wollen. Und ich glaube, das ist das Rezept für ein glückliches Leben. Den eigenen Willen darf man einfach nicht brechen lassen.“

Paralympics 2016

Von 7. bis 18. September 2016 finden die XV. Paralympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro (Brasilien) statt. In 22 Sportarten werden sich mehr als 4.000 Athleten aus 176 Nationen miteinander messen. 26 österreichische Sportlerinnen und Sportler wurden vom Österreichischen Paralympischen Commitee für die Paralympics nominiert – sieben aus Niederösterreich.

  • RADSPORT: Wolfgang Eibeck (44), aus Stockerau. Medaillenhamster im österreichischen Team: sieben Medaillen bei sechs Paralympics; Doris Mader (40), Silbermedaillengewinnerin bei den paralympischen Spielen in London 2012. Einen zweiten und einen dritten Platz bei diesjährigen internationalen Turnieren.
  • SCHWIMMEN: Andreas Onea (24), aus Deutsch Wagram, vierter Platz bei den Paralympics in London bei 100 m Brust, dritter Platz im Mai 2016 bei der EM über 200 m Lagen in Funchal; Sabine Weber-Treiber
  • ROLLSTUHLTENNIS: Nico Langmann (19), Nummer 1 im österreichischen Rollstuhltennis, erste Olympiateilnahme
  • RUDERN: Maria Dorn (37), aus Wieselburg, startet mit dem „Riemen-Vierer“, hat eine Wild Card erhalten.
  • SEGELN: Sven Reiger (42), war Leichtathlet und Skifahrer, bis ihn seine Jugendliebe, das Segeln, zurückerobert hat. Seine vierten Olympischen Spiele

Steckbrief

Sabine Weber-Treiber 
Geboren 1979, wohnhaft in Mödling, verheiratet, ein neunjähriger Sohn und eine dreijährige Tochter, HTL Mödling, Studium an der FH Wiener Neustadt (Wirtschaftsberatende Berufe), Bankangestellte und Profi-Schwimmerin im Behindertensport
Sportklasse: S6/SB5
Disziplinen: 100 m Brust,
100 m Freistil, 50 m Freistil
Behinderung: inkompletter Querschnitt C6/TH6 seit 2009 durch eine Virusinfektion im Wirbelkanal
Startet für den Landesverband: NÖVSV
ÖBSV-Verein: BSV Weißer Hof
Trainer: Thomas Rosenberger
Interessen: Sprachen, Reisen, Kochen, Lesen

Sportliche Erfolge:

  • 2010: Österreichische Staatsmeistertitel in 100 m Brust und 100 m Freistil
  • 2011: Europameisterschaft in Berlin – zwei Finalteilnahmen in 100 m Brust (6. Platz) und 100 m Rücken (7. Platz)
  • 2012: Paralympics in London – Finalteilnahme 100 m Brust (4. Platz)
  • 2014: Europameisterschaft in Eindhoven – 100 m Brust (2. Platz), 50 m Freistil (5. Platz) und 100 m Freistil (8. Platz)
  • 2016: Paralympics in Rio de Janeiro – 100 m Brust, 50 m und 100 m Freistil